Quelle: Blätter 1957 Heft 05 (Mai)
zurück Dokumente zum Zeitgeschehen ALBERT SCHWEITZERS RUF AN DIE WELT ================================== "Als Vom 1. März 1954 an Versuche mit Wasserstoffbomben von den Amerikanern auf Bikini im Gebiete der Marshall-Inseln (im Stillen Ozean) und von den Russen in Sibirien gemacht wurden, kam man dazu, sich davon Rechenschaft zu geben, daß es mit der Erprobung von Atomwaffen ein anderes Ding sei als mit den früheren nichta- tomischen. Wenn ein neukonstruiertes Geschützungeheuer auf dem Versuchsfeld abgefeuert worden war, war damit die Sache zu Ende. Nicht so mit der Explosion einer Wasserstoffbombe. Es blieb etwas davon übrig: daß nämlich eine Unmenge kleinster Teilchen von ra- dioaktiven Elementen in der Luft vorhanden war und radioaktive Strahlen aussandte. Dies war schon bei den Uranbomben, die auf Hiroshima und Nagasaki fielen und nachher noch weiter erprobt wurden, der Fall gewesen. Da sie aber, entsprechend der geringe- ren Größe und Wirkung dieser früheren Bombe, sich noch nicht so bemerkbar machte wie bei der Wasserstoffbombe, hatte man ihr kaum Beachtung geschenkt. Weil radioaktive Strahlungen, wenn sie in einer gewissen Menge und Stärke vorhanden sind, schädigend auf den menschlichen Körper einwirken, kam dann die Diskussion in Gang, ob die von bisherigen Explosionen von Wasserstoffbomben herrührende Strahlung schon eine Gefahr bedeute, die durch neu hinzukommende Explosionen eine Zunahme erfahren würde. Seitdem haben im Laufe von dreieinhalb Jahren Vertreter der phy- sikalischen und der medizinischen Wissenschaft sich mit dem Pro- blem beschäftigt. Beobachtungen über das Vorhandensein, die Her- kunft und die Natur der Strahlungen wurden gemacht. Die Vorgänge, auf denen ihre Wirkung auf den menschlichen Körper beruht, sind erforscht worden. Auf Grund des in dieser Sache zusammengetrage- nen, wenn auch bei weitem nicht vollständigen Materials muß geur- teilt werden, daß die radioaktive Strahlung, wie sie sich aus den bisherigen Explosionen von Atombomben ergeben hat, eine nicht zu unterschätzende Gefahr für die Menschheit bedeutet, und daß sie bei weiteren Explosionen von Atombomben in beängstigender Weise zunehmen würde. Dieses Urteil ist, besonders in den letzten Monaten, des öfteren ausgesprochen worden. Merkwürdigerweise ist es nicht in dem Maße, wie man es hätte erwarten sollen, in die öffentliche Meinung übergegangen. Die einzelnen und die Völker fühlen sich nicht be- wogen, der Gefahr, in der wir uns befinden, die Aufmerksamkeit, auf die sie leider Anspruch hat, zuteil werden zu lassen. Sie muß ihr vorgehalten und begreiflich gemacht werden. Mit anderen, die sich für verpflichtet halten, in diesen Tagen als Mahner in Wort und Schrift aufzutreten, erhebe ich meine Stimme. Mein Alter und die Sympathie, die mir die von mir vertre- tene Idee der Ehrfurcht vor dem Leben eingetragen hat, lassen mich erhoffen, daß meine Mahnung mit dazu beitragen kann, der Einsicht, die not tut, den Weg zu bereiten. Der Radiosendestation von Oslo, der Stadt des Nobel-Friedensprei- ses, danke ich, daß sie mir dazu verhilft, das, was ich glaube aussprechen zu sollen, in die Ferne gelangen zu lassen. Was ist Radioaktivität? Sie besteht im Vorkommen von Strahlen, die sich von denen des Lichts dadurch unterscheiden, daß sie unsichtbar sind und nicht nur durch Glas hindurchgehen, sondern auch durch dünne Scheiben von Metall wie auch durch Schichten des Zellgewebes des menschli- chen und tierischen Körpers. Strahlen dieser Art wurden erstmalig 1895 durch den Münchner Physiker Wilhelm Röntgen entdeckt und nach ihm benannt. Im Jahre 1896 stellt der französische Physiker Henry Becquerel fest, daß Strahlen dieser Art in der Natur vor- kommen. Sie gehen von dem seit 1786 bekannten Element Uran aus. 1898 entdecken Pierre Curie und seine Frau in der Uranpechblende, einem Uranerz, das stark radioaktive Element Radium. Zuerst herrschte eitel Freude und Stolz darüber, daß solche Strahlen den Menschen zur Verfügung stehen. Es stellte sich näm- lich heraus, daß sie eine Einwirkung auf die relativ schnell wachsenden und relativ schnell zerfallenden Zellen bösartiger Tu- moren wie Krebs und Sarkom besitzen. Sie vernichten sie, wenn sie ihrer Einwirkung öfters und länger ausgesetzt sind. Mit der Zeit mußte man leider die Erfahrung machen, daß die Ver- nichtung von Krebszellen nicht immer eine Heilung des Krebses be- deutet, und daß auch die gewöhnlichen Zellen des menschlichen Körpers, wenn radioaktive Strahlen längere Zeit hindurch auf sie gerichtet sind, eine schwere Schädigung erleiden. Als Frau Curie nach vierjährigem Hantieren mit Uranerz das erste Gramm Radium in ihren Händen hielt, zeigte deren Haut Risse, die sich durch keine Behandlung heilen ließen. Mit den Jahren verfiel sie einem Siechtum, das seinen Grund darin hatte, daß die radio- aktiven Strahlen ihr Knochenmark und damit ihr Blut geschädigt hatten. 1934 setzte der Tod ihrem Leiden ein Ende. Weil man auf Jahre hindurch die Gefahr nicht in Betracht zog, welche Röntgenstrahlen für die bedeuten können, die ihnen häufig ausgesetzt sind, haben Hunderte von Ärzten und Schwestern von der Bedienung von Röntgenapparaten eine unheilbare, langsam zum Tode führende Erkrankung davongetragen. Radioaktive Strahlen sind etwas Materielles. In ihnen schleudert das radioaktive Element ständig winzigste Teile von sich mit Wucht in die Ferne. Es gibt drei Arten von radioaktiven Strahlen. Sie sind, nach den drei ersten Buchstaben des griechischen Alpha- bets, alpha, beta, gamma, benannt. Die Gamma-Strahlen sind die härtesten und haben die stärkste Wirkung. Daß Elemente radioaktive Strahlen entsenden, hat seinen Grund darin, daß sie im Zerfall begriffen sind. Ihre Radioaktivität ist die Energie, die dabei nach und nach frei wird. Außer dem Uranium und dem Radium gibt es noch einige andere Elemente, die, wenn auch nur ganz schwach, radioaktiv sind. Zu der damit gegebenen von der Erde ausgehenden radioaktiven Strahlung kommt noch die die im Weltenraum vorhanden ist, insoweit als sie bis zu uns ge- langen kann. Glücklicherweise schützt uns die unsere Erde in ei- ner Höhe von 400 Kilometern umgebende Luftmasse gegen sie. Nur ein ganz kleiner Teil von ihr gelangt bis zu uns. Träfe sie in voller Stärke auf die Erdoberfläche, würde sie alles Leben auf ihr vernichten. Wir sind also von der Erde und von der Höhe aus einer ständigen radioaktiven Strahlung ausgesetzt. Sie ist aber so schwach, daß sie uns nichts anhaben kann. Wir wissen jedoch durch die Erfah- rungen, die man mit stärkerer Bestrahlung gemacht hat, wie sie vom Röntgenapparat, vom Uran und vom Radium ausgeht, daß ihr nur einer gewissen Dauer ausgesetzt zu sein uns zu schädigen vermag. Die radioaktiven Strahlen sind eben unsichtbar. Wie können wir ihr Vorhandensein und ihre Stärke feststellen? Das Instrument, das uns dies ermöglicht, verdanken wir dem deut- schen Physiker Hans Geiger, der als eines der Opfer der Röntgen- strahlen 1945 starb. Dieser sogenannte Geigerzähler besteht aus einer Metallhülse, die verdünnte Luft enthält. In ihr befinden sich zwei Metallenden, zwischen denen eine starke Spannung be- steht. Wirken radioaktive Strahlen von außen auf diese Röhre ein, so finden zwischen den beiden Metallenden Entladungen statt. Je stärker die Strahlung ist, um so rascher folgen sie aufeinander. Ein in den Apparat eingebautes kleines Gerät macht sie hörbar. Handelt es sich um starke Strahlungen, so führt der Geigerzähler wahre Trommelwirbel aus. Es gibt zwei Arten von Bomben: Uranbomben und Wasserstoffbomben. Die Wirkung der Uranbome beruht auf dem Vorgang der bei dem Zer- fall des Urans frei werdenden Energie. Bei der Wasserstoffbombe beruht das Freiwerden von Energie auf der statthabenden Umwand- lung des Elements Wasserstoff in das Element Helium. Interessant ist, daß dies derselbe Vorgang ist, der im Innern der Sonne stattfindet und ihr die sich stetig erneuernde Energie liefert, Licht und Wärme zu versenden. Ihrer Art nach sind die Effekte der beiden Bomben die gleichen. Aber der einer der neuesten Wasserstoffbomben soll, nach manchen Schätzungen, das Zweihundertfache derjenigen sein, die auf Hiros- hima fiel. Zu diesen beiden Atombomben ist neuerdings die Kobaltbombe als Super-Atombombe hinzugekommen. Sie ist eine Wasserstoffbombe, die mit einem aus Kobalt bestehenden Mantel umgeben ist. Ihre Wirkung soll die der stärksten bisherigen Wasserstoffbomben um ein Viel- faches übertreffen. Bei der Explosion einer Atombombe entstehen in unvorstellbar großer Anzahl kleinste Teilchen radioaktiver Elemente. Als solche haben sie mit dem Uran gemein, daß sie in Zerfall begriffen sind. Bei den einen, den stärksten, verläuft dieser sehr rasch, bei an- deren langsam, bei anderen außerordentlich langsam. Die allerstärksten dieser Elemente haben schon 10 Sekunden nach der Detonation der Atombombe zu existieren aufgehört. In dieser so kurzen Zeit können sie aber in einem Umkreis von mehreren Ki- lometern Menschen in Menge getötet haben. Übrig bleiben also nur schwächer wirkende Elemente. Mit diesen haben wir es in unserer Zeit zu tun. Die Gefahr, welche die von ihnen ausgehenden radioaktiven Strahlen trotz ihrer relativen Schwäche für uns mit sich bringen können, gilt es einzusehen. Von diesen Elementen sind die einen noch nach Stunden, andere nach Tagen, andere nach Wochen, oder Monaten, oder Jahren, oder Millionen von Jahren - in immer zunehmendem Zerfall - im Dasein. In radioaktiven Staubwolken ziehen sie in der Höhe dahin. Schwere Teilchen fallen früher nach unten. Leichtere halten sich länger in der Luft oder kommen im Regen und Schnee hernieder. Wie lange es dauert, bis in der Luft nichts mehr von dem, was durch die bisherigen Explosionen von Atombomben in sie gelangte, vorhanden ist, läßt sich nicht mit Sicherheit ermessen. Nach manchen Schät- zungen soll dies frühestens in dreißig oder vierzig Jahren der Fall sein. Als Knabe habe ich miterlebt, daß von dem im Jahre 1883 bei der Explosion der den Sunda-Inseln zugehörigen Vulkaninsel Krakatau in die Luft geschleuderten Staub in Europa in der Luft noch mehr als zwei Jahre lang so viel vorhanden war, daß die Sonnenunter- gänge durch diesen Staub in besonderer Pracht stattfanden. Mit Sicherheit können wir aber behaupten, daß die in der Luft entstandenen Wolken von radioaktivem Staub mit den Winden fort und fort um die Erde reisen und daß etwas von ihrem Staub fort und fort - sei es in freiem Fall, sei es durch Regen, Schnee, Ne- bel und Tau mitgenommen - allenthalben auf die feste Erdoberflä- che, die Flüsse und die Meere niedergeht. Welcher Art sind die radioaktiven Elemente, von denen bei Explo- sionen von Atombomben allerkleinste Teilchen in die Luft flogen und nun wieder herunterkommen werden? Sie sind merkwürdige Abarten von gewöhnlichen, nicht radioaktiven Elementen. Sie haben dieselben chemischen Eigenschaften wie diese, aber ein anderes Atomgewicht. In der Bezeichnung, die sie führen, wird also nach dem Namen des Elements die Zahl ihres Atomgewichts angeführt. Dasselbe Element kann in mehreren Abarten existieren: Neben Jod 131, das nur 16 Tage am Leben ist, gibt es Jod 129, das es auf 200 Millionen Jahre bringt. Gefährliche Elemente dieser Art sind: Phosphor 32, Calzium 45, Jod 131, Eisen 55, Wismuth 210 Plutonium 239, Cerium 144, Stron- tium 89, Cäsium 137. War die Wasserstoffbombe mit einem aus Ko- balt bestehenden Mantel umgeben, so kommt noch Kobalt 60 hinzu. Besonders gefährlich sind die Elemente, die bei einem relativ langen Bestehen eine relativ starke Strahlung aussenden. Unter diesen nimmt Strontium 90 die erste Stelle ein. In der Menge des radioaktiven Staubes ist es besonders reichlich vorhanden. Auch Kobalt 60 ist als besonders gefährlich anzuführen. Die durch diese Elemente gesteigerte Radioaktivität der Luft kann uns von außen her nichts anhaben. Sie ist nicht stark genug, um unsere Haut zu durchdringen. Anders steht es schon mit ihrem Ein- atmen, wodurch radioaktive Elemente in unseren Körper gelangen können. Die vor allem in Betracht zu ziehende Gefahr ist aber die, daß wir infolge der erhöhten Radioaktivität der Luft radio- aktives Wasser zu trinken und radioaktive Speisen zu essen bekom- men. Auf Grund der auf Bikini und in Sibirien stattgehabten Explosio- nen gehen über Japan zeitweise Regen nieder, deren Wasser derart radioaktiv ist, daß es nicht getrunken werden darf. Dies kommt aber nicht dort allein vor. In aller Welt, wo neuerdings Regen- fälle Gegenstand der Beobachtung geworden sind, wird zeitweise der Niedergang von radioaktivem Regen gemeldet. Darunter sind auch solche Niederschläge, die so radioaktiv sind, daß ihr Wasser nicht mehr als Trinkwasser in Betracht kommt. Brunnenwasser wird erst durch längeres und reichliches Niedergehen von radioaktivem Regenwasser in erheblichem Maße radioaktiv. Wird irgendwo radioaktives Regenwasser festgestellt, so will dies heißen, daß die Erde in der betreffenden Gegend es auch ist, und in höherem Maße. Sie wird es ja nicht nur durch auf sie gelangen- den Regen, sondern auch durch frei fallenden radioaktiven Staub. Und nicht nur die Erde, sondern auch die auf ihr wachsenden Pflanzen sind dann radioaktiv. Was sich an radioaktiven Elementen auf ihr ansammelt, gibt sie an die Pflanzen ab. Und diese, was wohl zu beachten ist speichern es in sich auf. Infolge dieses Prozesses kann es vorkommen, daß wir es mit einer beträchtlichen auf uns lauernden Menge von radioaktiven Elementen zu tun haben. Handelt es sich um Gras, das Tieren, deren Fleisch einmal auf un- sern Tisch kommt, zur Nahrung dient, so werden beim Essen dessel- ben radioaktive Elemente, die sie durch jenes Gras in sich auf- nahmen und aufspeicherten, in uns aufgenommen und aufgespeichert. Handelt es sich um Kühe, so findet solches schon beim Trinken der Milch statt. Schon kleine Kinder haben dann Gelegenheit, radioak- tive Elemente in sich aufzunehmen. Für sie bedeuten sie eine be- sondere Gefahr. Essen wir Gemüse und Obst, so kommen die in ihnen aufgespeicherten radioaktiven Elemente in uns. Um welche Zahlen es sich bei der Aufspeicherung radioaktiven Ma- terials handeln kann, läßt sich aus Feststellungen ermessen, die man bei Gelegenheit einer Radioaktivität des Columbia-Flusses in Nordamerika machte. Verursacht war sie durch Abwasser der Atom- energie für die Industrie produzierenden Hanford-Atomwerke. Die Radioaktivität des Wassers war nicht bedeutend. Aber die des in ihm befindlichen Planktons war es 2000mal mehr, die von Enten, die sich von diesem Plankton nährten, 40 000mal mehr, die der Flußfische 150 000mal mehr, die von jungen Schwalben, die von den Eltern mit Wasserinsekten gefüttert wurden, 500 000mal mehr, die des Eigelbs von Wasservögeln über 1 000 000mal mehr. Wenn uns immer wieder von amtlicher und nichtamtlicher Seite ver- sichert wird, daß eine festgestellte erhöhte Radioaktivität der Luft noch nicht über das hinausgehe, was der menschliche Körper ohne Schaden ertragen könne, so ist dies ein Vorbeireden an dem Problem. Werden wir auch nicht in direkter Weise durch die radio- aktiven Elemente der Luft geschädigt, so doch in indirekter: durch das, was davon schon heruntergekommen ist, herunterkommt und noch herunterkommen wird. Dieses nehmen wir im radioaktiven Wasser und in unserer pflanzlichen und tierischen Nahrung auf, in dem Maße, als es in unserer Gegend in den für uns in Betracht kommenden Pflanzen aufgespeichert war. Die Natur, zu unserem Schaden, wuchert mit dem, was ihr von der Luft zukommt. Keine Radioaktivität der Luft, die durch die bei Explosionen ent- standenen radioaktiven Elemente verursacht wurde, ist so gering- fügig, daß sie nicht auf die Dauer durch Anreicherung dieser Ele- mente in unserem Körper sich zu einer Gefahr für uns auswachsen kann. Was unser Körper an radioaktiven Elementen aufnimmt, wird in sei- nem Zellgewebe nicht gleichmäßig verteilt, sondern an besonderen Orten abgelagert, vornehmlich im Knochengewebe, wohl auch in der Milz und in der Leber. Von diesen Orten aus findet dann eine von innen kommende Bestrahlung statt, durch welche die für sie emp- findlichen Organe in besonderer Weise geschädigt werden. Was ihr an Kraft abgeht, ersetzt diese Strahlung durch Dauer. Durch Jahre hindurch ist sie Tag und Nacht in Gang. Auf welche Weise werden die Zellen eines Organs durch sie geschä- digt? Dadurch, daß sie durch sie ionisiert, das heißt elektrisch geladen werden. Diese Veränderung hat zur Folge, daß in ihnen die chemischen Prozesse, in denen sie den ihnen im Körperhaushalt zu- fallenden Beruf auszuüben haben, nicht mehr in der rechten Weise ablaufen. Sie vermögen ihre für uns lebenswichtige Funktionen nicht mehr auszuüben. In Betracht kommt auch, daß durch die Strahlung Zellen eines Organs in großer Zahl degenerieren oder zugrunde gehen können. Welche Erkrankungen kann die von innen her erfolgende Strahlung zur Folge haben? Dieselben, die wir als von der außen kommenden radioaktiven Strahlung verursacht kennengelernt haben. In der Hauptsache handelt es sich um schwere Erkrankungen des Blutes. Die Zellen des Knochenmarks, in denen die roten und wei- ßen Blutkörperchen gebildet werden, die in Menge in unserem Blute vorhanden sind und es befähigen, eine so große Rolle zu spielen, sind sehr empfindlich für radioaktive Strahlen. Erkranken sie un- ter ihrer Einwirkung, so hat dies zur Folge, daß von ihnen zu we- nig weiße Blutkörperchen oder aber abnorme, in Degeneration be- griffene produziert werden. In beiden Fällen kommt es zu Blut- krankheiten, die in den meisten Fällen zum Tode führen. An ihnen sind die Märtyrer der Röntgen- und Radiostrahlen gestorben. An einer dieser Krankheiten litten die japanischen Fischer, die in einer Entfernung von 150 Kilometern von Bikini mit ihrem Schiff in den Aschenregen der Explosion einer Wasserstoffbombe gerieten. Frisch und relativ leicht erkrankt, konnten sie, bis auf einen, durch Infusionen, in denen ihnen fort und fort gesundes Blut zu- geführt wurde, gerettet werden. In den angeführten Fällen handelt es sich um von außen her kom- mende Strahlung. Daß die von innen her kommende, durch Jahre hin- durch auf das Knochenmark wirkende Strahlung dieselbe Wirkung ha- ben wird, ist leider sehr wahrscheinlich, besonders da ja die Strahlung vom Knochengewebe aus auf das Knochenmark geht. Wie schon gesagt, speichern sich die radioaktiven Elemente ja mit Vorliebe im Knochengewebe an. Zugleich mit unserer Gesundheit ist auch die unserer Nachkommen durch die in uns von innen her stattgehabte radioaktive Strahlung gefährdet. Überaus empfindlich für sie sind nämlich die Zellen der für die Fortpflanzung in Betracht kommenden Organe. Bei ihnen bewirkt sie sogar eine Schädigung des Zellkerns, die im Mikroskop sichtbar gemacht werden kann. Der so tiefgehenden Schädigung die- ser Zellen entspricht eine ebenso tiefgehende der Nachkommen- schaft. Sie besteht in Totgeburten und Mißgeburten, sei es mit körperlichen, sei es mit geistigen Defekten. Auch hier können wir uns auf das berufen, was die radioaktiven Strahlen, in der Einwirkung von außen her, schon angerichtet ha- ben. Tatsache ist, wenn auch die in der Presse im Umlauf befind- lichen Statistiken der Nachprüfung bedürfen, daß in Hiroshima, in den Jahren nach dem Abwurf der Atombombe, abnorm viele Totgebur- ten stattfanden und abnorm viele Kinder mit Mißbildungen zur Welt kamen. Um über die Frage ins Klare zu kommen, in welcher Weise eine stattgehabte radioaktive Bestrahlung sich auf die Nachkommen- schaft auswirkt, hat man Nachforschungen angestellt, ob zwischen der Nachkommenschaft von Ärzten, die Jahre hindurch Röntgenappa- rate bedienten, und derjenigen von solchen, bei denen dies nicht der Fall war, ein Unterschied bestünde. Die Untersuchung er- streckte sich auf etwa 3000 Ärzte jeder Gruppe. Ein nicht zu übersehender Unterschied gab sich kund. In der Nachkommenschaft der Radiologen gab es 14,03 Totgeburten pro Tausend, bei den an- deren Ärzten nur 12,22 pro Tausend. Angeborene Fehler hatten bei den ersten 8,01 Prozent der Kinder, bei den letzteren nur 4,82 Prozent. Die Zahl der gesunden Kinder betrug bei den ersteren 80,42 Prozent, bei den letzteren bedeutend mehr, nämlich 83,23 Prozent. Zu bemerken ist, daß auch die schwächste von innen her kommende Bestrahlung sich auf die Nachkommen schädigend auswirken kann. Die ganze Verheerung, welche eine bei den Vorfahren stattgehabte radioaktive Strahlung in den Nachkommen anrichtet, wird sich nach den in der Vererbung geltenden Gesetzen nicht gleich in den fol- genden Generationen, sondern erst in den späteren nach 100 oder 200 Jahren offenbaren. So wie die Dinge liegen, kann man also noch keine stattgehabten Fälle der schweren und schwersten Fälle anführen, welche die von innen kommende radioaktive Strahlung verursacht hätte. Soweit sie besteht, ist sie ja noch nicht in der Stärke vorhanden und noch nicht lange genug wirksam, daß sie die in Frage kommenden Schäden hätte anrichten können. Man kann nichts anderes tun, als von den Schäden, welche durch von außen kommende Strahlen verursacht wer- den, auf die zu schließen, welche von der von innen wirkenden einmal zu erwarten sein können. Ist diese nicht so stark wie jene, so kann sie es nach und nach dadurch werden, daß sie Jahre hindurch ununterbrochen wirkt und damit eine Leistung erreicht, die ähnliche Folgen haben kann, wie sie die von außen kommenden an sich stärkeren Strahlen hatten. Ihre Wirkungen summieren sich. In Betracht zu ziehen ist auch, daß diese Bestrahlung nicht - wie die von außen kommende - Schichten von Haut, Bindegewebe und Mus- keln durchdringen muß, um die Organe zu treffen. Sie bestrahlt sie aus der Nähe und in keiner Weise abgeschwächt. Vergegenwärtigt man sich die Bedingungen, unter denen die Be- strahlung von innen her statthat, so hört man auf, gering von ihr zu denken. Wenn es auch wahr ist, daß man in Sachen der Gefähr- dung durch sie vorerst noch keine Fälle anführen, sondern nur Be- fürchtungen äußern kann, so sind diese in Tatsachen doch so tief begründet, daß sie für unser Verhalten das Gewicht von Wirklich- keiten annehmen. Wir sind also genötigt, jede Steigerung der bereits bestehenden Gefahr durch weiterhin stattfindende Erzeugung von radioaktiven Elementen durch Explosionen von Atombomben als ein Unglück für die Menschheit anzusehen, das unter allen Umständen verhindert werden muß. Ein anderes Verhalten kann für uns schon allein darum nicht in Betracht kommen, weil wir es im Hinblick aus die Folgen, die es für unsere Nachkommenschaft haben könnte, nicht zu verantworten vermögen. Dieser droht ja die erste und furchtbarste Gefahr. Daß in der Natur von uns geschaffene radioaktive Elemente vorhan- den sind, ist ein unfaßliches Ereignis in der Geschichte der Erde und der Menschheit. Es zu unterlassen, sich mit seiner Bedeutung und seinen Folgen abzugeben, ist eine Torheit, welche die Mensch- heit furchtbar teuer zu stehen kommen kann. In Gedankenlosigkeit wandeln wir in ihr dahin. Es darf nicht sein, daß wir uns nicht noch beizeiten aufraffen und die Einsicht, den Ernst und den Mut aufbringen, dieser Torheit zu entsagen, um uns mit der Wirklich- keit auseinanderzusetzen. Im Grunde denken die Staatsmänner der atombombenbauenden Völker nicht anders. Durch die ihnen zugehenden Berichte sind sie genü- gend unterrichtet, um sich ein Urteil zu bilden. Und Verantwor- tungsbewußtsein müssen wir bei ihnen auch voraussetzen. Jedenfalls lassen Amerika, Rußland und England einander neuer- dings wissen, daß sie nicht mehr verlangen, als mitander ein Ab- kommen über die Einstellung der Versuche mit Atomwaffen zu schließen. Zugleich erklären sie aber, daß sie, solange ein sol- ches Abkommen nicht besteht, nicht davon ablassen können, weitere Versuche zu machen. Warum kommen sie nicht dazu, ein Abkommen abzuschließen? Der letzte und eigentliche Grund ist, daß eine öffentliche, dies ver- langende Meinung in ihren Ländern nicht vorhanden ist und auch sonst bei keinen Völkern, die Japaner ausgenommen. Diesen wurde sie dadurch aufgenötigt, daß sie von den üblen Folgen der Gesamt- heit der Versuche fort und fort in schwerster Weise betroffen werden und dadurch in eine bemitleidenswerte Lage kommen. Ein Abkommen wie dieses erfordert Zuverlässigkeit und Vertrauen. Die Garantien müssen vorhanden sein, daß es von keinem der Part- ner aus dem Grunde abgeschlossen wird, daß ihm dadurch nebenbei ein erheblicher, nur von ihm vorauszusehender taktischer Vorteil erwächst. Es muß von einer den betreffenden Völkern gemeinsamen öffentlichen Meinung eingegeben und ratifiziert werden. Wenn also in den Ländern, für die das Abkommen in Betracht kommt, und in den Völkern überhaupt eine öffentliche Meinung entsteht, die sich von den großen Gefahren der Fortsetzung der Versuche Re- chenschaft gibt und sich durch die damit gebotene Vernünftigkeit leiten läßt, können die Staatsmänner sich über ein Abkommen, die Versuche zu unterlassen, einigen. Eine öffentliche Meinung dieser Art bedarf zu ihrer Kundgebung keiner Abstimmungen und keiner Kommissionsbildungen. Sie wirkt durch ihr Vorhandensein. Kommt es zum Aufhören der Versuche mit Atombomben, so ist dies die Morgendämmerung des Sonnenaufgangs der Hoffnung, nach der un- sere arme Menschheit ausschaut." (23.4.1957.) zurück