Quelle: Blätter 1957 Heft 06 (Juni)
zurück Walter Lassahn DER CHRIST UND DER KRIEG ======================== Ein offener Brief ----------------- Sehr geehrter Herr vom Baur! Sie veröffentlichen in Ihrer betont christlichen, pietistischen Zeitschrift "Philadelphia" einen Aufsatz über das Thema "Der Christ und der Krieg". Lassen Sie mich nachstehend einige Gedan- ken zu Ihrem Aufsatz zum Ausdruck bringen. Sie meinen, die Frage der Stellung des Christen zum Kriege sei nicht ganz einfach zu beantworten. Ich meine aber d o c h, insofern nämlich, als es für mich als Christen da nur ein klares, entschiedenes Nein geben kann! Sie schreiben: "Gewiß hat Gott das Gebot gegeben: Du sollst nicht töten. Aber das schloß nicht aus, daß er selbst beispielsweise die Ausrottung der Kananiter durch Israel anordnete, weil diese Völker durch ihren dauernden Götzendienst gerichtsreif geworden waren." Sie wollen also damit den Krieg grundsätzlich rechtferti- gen. Ich finde, daß Sie sich außerdem die Rechtfertigung des Krieges zu einfach machen, indem Sie dazu allein das Alte Testa- ment heranziehen und das Neue Testament ganz außer acht lassen, das doch für uns Christen vor allem anderen maßgebend sein muß. Für mich als Christen jedenfalls gilt das Gebot "Du sollst nicht töten!" ganz uneingeschränkt, ohne jedes Wenn und Aber, weil eine andere Stellungnahme eine doppelte Moral wäre, ich aber der An- sicht bin, daß es eine solche nicht geben kann, da die Moral und die Sittlichkeit unteilbar sind. Mord ist und bleibt Mord, ganz gleich, aus welchen Motiven heraus er geschieht. Mord ist Mord in der privaten Sphäre, wenn ich einen Menschen umbringe, der mir irgendetwas zuleide getan hat. Mord bleibt aber auch Mord, wenn der Staat sich anmaßt, mich in eine Uniform zu stecken, mir ein Gewehr in die Hand zu drücken und mir zu befehlen, auf Menschen, die ich nicht einmal kenne, die mir nichts zuleide getan haben, zu schießen, weil man mir eben diese Menschen als "Feinde" dekla- riert, die es umzubringen gilt. Und je mehr Feinde ich töte, um so besser, das wird sogar noch belohnt! Werter Herr v. B., stellen Sie sich doch einmal folgende Situa- tion vor: Sie waren eben noch auf einer Tagung mit Glaubensbrü- dern aus dem Ausland, mit Brüdern in Christo also, einträchtig beisammen. Sie waren ein Herz und eine Seele mit Engländern, Franzosen usw. Sie haben eben noch gemeinsam mit diesen vor dem gemeinsamen Herrn und Vater im Gebet die Knie gebeugt, und vier Wochen später sollen Sie, weil nun mal wieder Krieg ist, auf diese gleichen Brüder in Christo schießen, sollen sie töten, mor- den, weil diese jetzt auf einmal Ihre Feinde sein sollen! Können Sie sich etwas Unsinnigeres, ja etwas Teuflischeres, Verbrecheri- sches vorstellen? Und könnten Sie mit gutem Gewissen als "Vaterlandsverteidiger" töten und morden? Wobei ich noch ganz da- von absehe, daß mit dem Begriff der Vaterlandsverteidigung schon so unendlich viel Mißbrauch getrieben wurde! Können Sie eine Weltordnung mit Krieg als täglichem Brot sozusagen für "gottgewollt" halten, wie das leider vor noch nicht allzulanger Zeit auch die Kirchen verkündeten? Können Sie sich Christus vor- stellen mit Stahlhelm und Gasmaske und mit einem Schießprügel un- ter dem Arm, um Menschen zu töten? Menschen aber, die Christus nachfolgen wollen, will man derartiges zumuten? Merkwürdig finde ich es, daß die christlichen Verteidiger des Krieges, wie Sie z.B., immer die Bibel heranziehen, um das Böse, das nun einmal auch der Krieg ist, zu rechtfertigen. Warum hält man sich nicht an d i e Stellen der Heiligen Schrift, die darauf hinzielen, das Böse zu überwinden und zu unterlassen? Etwa an die Stellen, in denen es heißt, daß durch das Schwert umkommen soll, wer das Schwert in die Hand nimmt? Welch eine Entartung haben wir doch in dieser Beziehung von Vertretern der christlichen Lehre zur Kennt- nis nehmen müssen! Denken wir doch nur z.B. an gewisse Kriegspre- digten aus dem ersten Weltkrieg. Ich erinnere mich noch sehr gut an eine, die in der Behauptung gipfelte, es sei Gottesdienst, wenn der Soldat dem Feind das Bajonett tief in die Rippen jage! Auch ein gewisser Herr Dibelius, heute Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche Deutschlands, hat damals als Oberpfarrer in Lauenburg Predigten gehalten, die in den Ohren eines Christen schauerlich klingen müssen. "Manche ruft der Tod vom Schlachtfeld in die Ewigkeit. Solches Sterben ist ein selig Sterben, um das nicht getrauert werden sollte", sagte er z.B. in einer Predigt am 18.9.1914. Oder was soll man zu folgendem sagen: "Der Krieg hat einen eisernen Besen in der Hand. Damit fegt er aus, was faul und morsch ist in unserem Volke. Der Wert der äußeren Dinge wird ge- ring. Daß der Krieg das tut, dafür müssen wir dankbar sein" (20.9.1914). Was wohl die Mütter gedacht haben mögen, die diese Predigt hörten, Mütter, deren Söhne vielleicht eben gefallen wa- ren? Sollten sie sich damit trösten, daß es um ihre Lieben nicht schade gewesen sei, da sie nach den Worten des Predigers ja wohl auch zu dem Morschen und Faulen gehörten, das der Krieg mit ei- sernem Besen auskehrt? Soweit können Christen nur kommen in ihren Gedanken und Auffassungen, wenn sie Christus über Bord geworfen haben und dem Götzen Staat huldigen und sein Tun zu rechtfertigen suchen, anstatt ihm die Wahrheit aus christlichem Geist zu sagen! Nein, als Christ kann man nur ein entschiedenes Nein sagen zu al- lem Bösen, auch zum Kriege. In der Proklamation des Weltkirchen- rates, verkündet auf der Tagung in Amsterdam im Jahre 1948, heißt es: "Wir sind einig, daß der Krieg im Gegensatz zum Willen Gottes steht. Krieg als eine Methode, Unstimmigkeiten zu beseitigen, ist unvereinbar mit der Lehre und dem Beispiel, das uns unser Herr Jesus Christus gegeben hat." Wenn ich aber als Christ diese Er- kenntnis gewonnen habe, dann muß ich auch die Konsequenzen daraus ziehen, dann darf ich als Christ nicht gegen den Willen Gottes handeln. Wenn ich es dennoch tue, dann ist es Sünde. Darum kann es für den Christen nur heißen, keine Waffe in die Hand zu neh- men, und hier gilt dann auch das Wort: "Man muß Gott mehr gehor- chen als den Menschen", d.h. also auch mehr als dem Staat, was geflissentlich von denen immer gern übersehen wird, die so gern das Wort vom Gehorsam gegen die Obrigkeit zitieren. Leider haben die Kirchen aus dieser klaren Erkenntnis bisher nicht die einzig notwendige Folgerung gezogen: sich mit aller Entschiedenheit ge- gen jeglichen Kriegsdienst auszusprechen! Wer Christ sein will, der muß es ganz sein, sonst ist er eben kein Christ. Es sollte doch für uns Christen gar nicht so schwer sein, in der Kriegsfrage zur rechten Erkenntnis zu kommen. Wir haben doch die B e r g p r e d i g t Jesu, in der alles das, was die Menschen, die Nachfolger Christi sein wollen, zu tun schuldig sind, gesagt ist in aller nur denkbaren Eindeutigkeit und Klarheit. Wenn es auch Bischöfe beider Konfessionen gibt, die es glattweg ablehnen, die Bergpredigt als die Magna Charta der Gewaltlosigkeit und als eine Anweisung zu christlichem Leben in der privaten wie in der staatlichen Sphäre anzuerkennen, so ist damit noch längst nicht gesagt, daß sie recht haben. Es bleibt dann die Frage, weshalb denn wohl Christus eigentlich die Bergpredigt gehalten haben mag? Ich habe in diesen Wochen die Bergpredigt wieder und wieder durchgelesen, und nirgendwo z.B. in den Seligpreisungen wird je- mand selig gepriesen, der irgendwie Gewalt anwendet, der zum Schwert greift, nirgendwo wird auch der "Vaterlandsverteidiger" selig gepriesen. Selig gepriesen werden aber die Sanftmütigen, die Barmherzigen, die Friedfertigen, diejenigen, die um der Ge- rechtigkeit willen verfolgt werden, und die, die da hungert und dürstet nach der Gerechtigkeit. Wer nicht bereit ist, diese For- derungen Jesu im Leben zu praktizieren, wenigstens es zu versu- chen, der sollte sich nicht Christ nennen. Auch Sie, verehrter Herr v. B., erwähnen, leider nur ganz am Rande, die Bergpredigt, aber nicht in dem Sinne, in dem sie ein- zig und allein verstanden werden kann. Sie schreiben zwar, Jesus habe in der Bergpredigt eine ganz neue Weltordnung verkündet, die auf Liebe und Frieden beruht, entwerten sie aber gleich darauf, indem Sie schreiben, daß Jesus in seiner großen Rede vom Ende (Matth. 24) sage, daß bis zum Abschluß unseres Zeitalters immer wieder Kriege geführt werden und Umwälzungen aller Art stattfin- den. Sie verweisen auf das Tausendjährige Friedensreich nach der glorreichen, Wiederkunft Christi und wollen damit wohl zum Aus- druck bringen, daß Jesus seine Bergpredigt also auf jene Zeit be- zogen wissen wollte. Dem kann ich nicht zustimmen. Ich meine, und das geht aus den ganzen Umständen hervor, unter denen Jesus diese Predigt hielt, daß er das H e u t e u n d J e t z t u n d H i e r gemeint hat, daß die Menschen, zu denen er sprach, im Sinne seiner Predigt leben und handeln sollten, um das Böse durch das Gute zu überwinden und in seiner Kraft und in seinem Sinne als seine echten Nachfolger die Welt umzugestalten. Wenn das bis heute auch nicht im entferntesten gelungen ist, so nicht, weil es Jesus gar nicht so gemeint hätte, sondern lediglich darum, weil er zu aller Zeit zu wenig echte Nachfolger gefunden hat und eben die meisten Menschen nur dem Namen nach Christen sind. Das ent- bindet uns aber nicht von der Pflicht, in seinem Sinne zu leben und zu versuchen, die heutige Welt zu ändern. Es ist Sache der Menschen, ob sie den Willen Gottes tun wollen oder nicht, und es ist eine lahme Ausrede, zu sagen, diese unsere Zeit und Ordnung mit ihren ständigen Kriegen sei "gottgewollt", und sich damit zu trösten, daß einmal das Tausendjährige Friedensreich kommen werde, wir also heute den Dingen ihren Lauf lassen müßten. Das ist genau so falsch, als wenn z.B. die Ärzte den Kampf gegen Krankheiten und Seuchen aufgeben wollten mit der Begründung, Seu- chen habe es immer gegeben, sie seien also gottgewollt und man müsse es eben dabei bewenden lassen! Sie geben zwar nun zu, daß die Christen niemals einen Angriffs- krieg gutheißen dürften, meinen aber dann, daß sie die Pflicht hätten, jederzeit für die Verteidigung und die Freiheit unseres irdischen Vaterlandes mit allen Kräften einzustehen, wenn dies notwendig werden sollte. Wenn mans so hört, mags leidlich schei- nen! Aber - und das ist heute eine sehr wesentliche Frage! - was ist denn V e r t e i d i g u n g? Wann liegt Verteidigung vor? Bin ich als Einzelmensch überhaupt in der Lage, zu beurteilen, ob ich wirklich zur Verteidigung aufgerufen werde? Ich kann ja nicht hinter die Kulissen der geheimen Politik sehen. Und kein Staat wird so leicht zugeben, daß er der Angreifer sei. Jeder Staat wird alle Mittel der Propaganda einsetzen, auch die der unver- schämtesten Lüge - ich sage j e d e r Staat! -, um seinen Bür- gern einzureden, daß ihm das Schwert vom Gegner aufgezwungen sei. Und selbst der tatsächliche Angreifer wird es verstehen, durch Verdrehungen und Geschichtsfälschungen den Angriff in Notwehr umzumünzen. Dieser Beispiele haben wir ja genug erlebt. Denken wir auch daran, daß z.B. Friedrich der Große, der Preußenkönig, zugegeben hat, daß der Ehrgeiz ihm das Schwert zu seinen Kriegen in die Hand gedrückt habe. Und gar Verteidigung h e u t e! Schon der zweite Weltkrieg hat uns gezeigt, daß es eine Verteidi- gung in dem eigentlichen Sinne des Wortes schon damals nicht mehr gab. Verteidigung heißt doch, den Gegner von den Grenzen des Va- terlandes fernzuhalten, heißt, Haus und Hof vor der Zerstörung zu schützen, heißt, Frauen und Kinder vor dem Tod zu bewahren! Das alles ist heute gar nicht mehr möglich. Es gibt heute im Kriege nur noch Ruinen und Trümmer, sowohl beim Angreifer wie auch beim Verteidiger. Und eine Verteidigung mit den Waffen bringt heute in jedem Falle mehr Trümmer, mehr Schaden und mehr Tote, als wenn ein Volk sich nicht mit Waffengewalt verteidigte. Verteidigung mit Waffengewalt schlägt heute dem ursprünglichen Sinn der Ver- teidigung ins Gesicht, ist keine Verteidigung, sondern beschwört die totale Vernichtung herauf. Es ist daher auch vom Evangelium her zu prüfen, ob es nicht andere, wirksamere und nicht so sata- nische Mittel der "Verteidigung" gibt als die bisher üblichen. Und da könnte uns im Sinne der Bergpredigt z.B. das indische Volk ein Beispiel sein, das seine Befreiung von der englischen Koloni- alherrschaft ohne blutige Gewalt erreicht hat. Und hier gilt es auch daran zu denken, daß Gott der Herr der Völker und der Ge- schichte ist und daß er, wenn es Sein Wille ist, Mittel und Wege hat, ein Volk auch ohne Waffen so zu bewahren, daß kein Feind auch nur einen Fuß auf seinen Boden zu setzen vermag. Hermann Eh- lers, der 1954 verstorbene Bundestagspräsident, ein Mann, dem niemand weder christliche noch vaterländische Gesinnung abspre- chen kann, hat am 24.9.1950 hierzu einmal geschrieben: "Wir wissen nicht, wie die Dinge im einzelnen laufen, aber wir trauen Gott zu, daß er auch unserem gar nicht gerüsteten Volke Wege zeigen kann, die seine Freiheit und sein Leben bewahren. Tä- ten wir es nicht, würden wir nicht Gott, sondern der Macht der Menschen vertrauen." Ihnen, werter Herr v. B., scheint diese Konsequenz nicht einzu- leuchten, und sie versuchen deshalb, diesem Wort eine falsche Ausdeutung zu geben. Sie scheinen nicht glauben zu wollen, daß Gott ein waffenloses Volk bewahren kann, suchen aber andererseits einen Krieg mit Atomwaffen zu verharmlosen - im Gegensatz zu al- len Experten! - indem Sie schreiben, daß heute noch niemand wisse, wie sich ein Atomkrieg auswirken würde, so daß alle Vor- aussagen hier gegenstandslos seien. Nun, seit Hiroshima wissen wir doch wohl so einigermaßen, was uns in einem Atomkrieg bevor- steht, Ihre Ansicht ist daher höchst leichtfertig! Und vor allem, wenn Sie schreiben: "Gott kann auch da - nämlich im Atomkrieg! - wunderbar führen und bewahren", so heißt das doch wahrhaft Gott versuchen! Mich wundert, daß Sie da, wo der Krieg nun einmal tobt, Gott eine wunderbare Führung und Bewahrung zutrauen, aber anscheinend dann nicht, wenn man es gar nicht erst zum Kriege kommen läßt, sondern sich zur Waffenlosigkeit oder, anders ausge- drückt, zum gewaltlosen Widerstand entschließt. Eines aber, sehr geehrter Herr v. B., hat mich in Ihrem Aufsatz besonders erschüttert: daß Sie nämlich schreiben, bei dem Auf- stand in Ungarn im Oktober 1956 hätten die Westmächte eingreifen, d.h. also den Krieg beginnen müssen! Alle Sachverständigen der westlichen Welt waren und sind sich noch heute darin einig, daß mit dem Eingreifen in Ungarn der dritte Weltkrieg ausgelöst wor- den wäre und damit der Atomkrieg, und sie sind sich weiter darin einig, daß auch in etwaigen künftigen ähnlichen Fällen der Westen nicht eingreifen könne und dürfe! Ihre Behauptungen erscheinen mir sehr leichtfertig und dem Ernst der heutigen Situation in keiner Weise angemessen. Und bedenken Sie auch, daß durch solche Äußerungen das nun einmal bei den Sowjets bestehende Mißtrauen vor einem Angriff der Westmächte aufs neue genährt und damit alle ernsthaften Versuche, die Sowjets davon zu überzeugen, daß nie- mand im Westen an einen Angriff denkt, und zu einer Entspannung der Lage zu kommen, torpediert werden! Das durften Sie gerade als Christ nicht schreiben. Es ist Kreuzzugsideologie, was Sie da vertreten! Wir kommen aber heute um die Koexistenz, die Sie ab- lehnen, wie aus einem Ihrer früheren Artikel hervorgeht, einfach nicht herum. Der Bolschewismus ist nun einmal da, und er ist da, weil die Christenheit und die "christlichen" Staaten vergangener Jahrhunderte selber durch ihr Verhalten den Kommunismus und Bol- schewismus als neue Menschheitsreligion der Unterdrückten und Ausgebeuteten heraufbeschworen haben. Jemand hat einmal gesagt, der Bolschewismus sei "die Frucht versäumten Christentums"! Wir sollten uns nicht vermessen, den Bolschewismus durch Waffengewalt ausrotten zu wollen; das wäre wahrscheinlich zugleich auch die Ausrottung der Menschheit. Es bleibt uns nur, durch soziale Ta- ten, z.B. auch in den unterentwickelten Gebieten, den Bolschewis- mus zu überwinden zu versuchen, aber wir sollten uns davor hüten, ihn zu Abenteuern und zu etwaigen Kurzschlußhandlungen zu reizen, ihn durch Drohungen zu verhärten und damit zugleich die eventuel- len Möglichkeiten einer Entwicklung des Bolschewismus in Richtung auf mehr Freiheit hin zu verbauen. Mit der Propagierung von Kreuzzugsideologien ist den Völkern nicht gedient, die heute jene Freiheit entbehren müssen, wie wir im Westen sie gewöhnt sind und sie dankbar empfinden. Durch solche Eskapaden können wir das Schicksal der Menschen auf der anderen Seite nur noch mehr er- schweren. Ein solches Verhalten ist unmenschlich und unchrist- lich! Hier helfen keine starken Worte, hilft kein Drohen und kein Säbelrasseln. Beten wir vielmehr darum, daß Gott auch die Herzen der Staatsmänner, die von Gott nichts wissen wollen, lenken möge zu mehr Menschlichkeit und Menschenliebe, und beten wir darum, daß er uns Christen die Kraft schenke, als wirkliche Christen zu leben, was allein die Welt zum Guten hin zu ändern vermag! Man muß schon, wenn man Wege zu einer Lösung der hoffnungslos verfahren erscheinenden Weltsituation finden will, vom Christli- chen her finden will - und nur vom Christlichen her kann man sie finden -, sich vom Geist der Kriegspredigten unseligen Angeden- kens freimachen und sich zu einem radikalen Umdenken, wie es ja letztlich doch die Bergpredigt von jedem Christen fordert, ent- schließen, sonst endet man unweigerlich in der Sackgasse, die letzten Endes Atomkrieg und Vernichtung der Menschheit heißt. Es gilt endlich, sozusagen in allerletzter Minute, radikalen Ernst mit dem Christentum zu machen, Traditionen und althergebrachte Anschauungen über Bord zu werfen und das Christentum, die Berg- predigt so konsequent auf allen Gebieten, das staatliche nicht ausgeschlossen, zu leben und zu praktizieren, daß die Christen zum Sauerteig werden, der die ganze Welt durchdringt und erneu- ert. Ich möchte meine Anmerkungen mit einem Wort des katholischen Theologen und Kulturphilosophen Theodor Haecker schließen, der schon 1917 angesichts der damaligen Kriegsbarbarei auszusprechen wagte, daß es mit Europa und seinem Christentum traurig bestellt sei und der u.a. dieses Wort schrieb: "Wer wirklich behauptet, daß Menschen, die das Evangelium wirk- lich leben, den Krieg mitmachen können, der ist der gottesläster- lichste und infamste Lügner, der die Sonne beleidigt, wer immer er auch sein mag!" zurück