Quelle: Blätter 1960 Heft 09 (September)
zurück Dokumente zum Zeitgeschehen GROTEWOHL UNTERBREITET HAMMARSKJÖLD ABRÜSTUNGSPLAN ================================================== FÜR DEUTSCHLAND =============== Die vollständige Auflösung aller Streitkräfte in beiden Teilen Deutschlands bis zum Jahre 1964 hat die Sowjetzonen-Regierung in einer Denkschrift an die Vereinten Nationen vorgeschlagen. Die Ostberliner Regierung hat das Schriftstück dem Europabüro der Vereinten Nationen in Genf zur Weiterleitung an den UNO-General- sekretär überreichen lassen. In einem Begleitbrief zu der Denkschrift ersuchte Ministerpräsi- dent Grotewohl den UNO-Generalsekretär Hammerskjöld, Vertreter der Zonenregierung zur 15. Tagung der Vollversammlung der Verein- ten Nationen einzuladen. Sie wollen die Auffassung der Zonenre- gierung mündlich vortragen. In der Denkschrift wird die Bundesregierung in massiver Weise be- schuldigt, "die totale Militarisierung und atomare Aufrüstung zu betreiben" und dadurch die Grundsätze der "Anti-Hitler-Koalition" am Ende des zweiten Weltkrieges grob verletzt zu haben. West- deutschland sei zum "potentiellen Kriegsherd" geworden. Die Abrüstungsvorschläge der Zone, die in einer vollständigen Neutralisierung des Gebietes "beider deutscher Staaten" gipfeln, bewegen sich auf der Linie der letzten Chrustschow-Rede vor der UNO über die totale Abrüstung. Der Ostberliner Plan sieht drei Etappen vor: 1. E t a p p e 1 9 6 0 / 6 1: "Beide deutschen Staaten" spre- chen einen "Generalverzicht" aus, vereinbaren einen Rüstungsstopp und verzichten auf die Herstellung und den Erwerb von Kern- und Raketenwaffen sowie allen chemischen und biologischen Kriegsmate- rials. Auf einer Friedenskonferenz der Mächte der "Anti-Hitler- Koalition" wird ein Friedensvertrag mit "beiden deutschen Staa- ten" abgeschlossen. 2. E t a p p e 1 9 6 2: Verringerung der Streitkräfte in bei- den Teilen Deutschlands. Verzicht auf die Wehrpflicht. Abzug al- ler ausländischen Truppen und die Beseitigung aller ihrer Stütz- punkte und Depots, Vernichtung der im Besitz deutscher Streit- kräfte befindlichen Raketenwaffen. 3. E t a p p e 1 9 6 3 / 6 4: Auflösung aller Streitkräfte und militärischen Waffen und Geräte aller Art. Zur Sicherung der in- neren Ordnung Aufstellung von Polizeikräften, deren Stärke, Aus- rüstung und Standorte vereinbart werden. Die Zugehörigkeit der "beiden deutschen Staaten" zur Nato oder zum Warschauer Pakt wird annulliert. Als Kontrollorgan für diese drei Etappen schlägt die Zonenregie- rung eine "paritätisch" zusammengesetzte Institution vor, die aus Vertretern der Volkskammer und des Bundestages, der Gewerkschaf- ten und "anderer demokratischer Massenorganisationen, wie Frauen- und Jugendverbände" bestehen soll. Abschließend müßten "beide Staaten" ihre Neutralität erklären. Die Welt vom 17. September 1960 ALBERT SCHWEITZER: ATOMWAFFEN ABSCHAFFEN ======================================== Dr. Helmut Gollwitzer, Theologieprofessor, und Martin Niemöller, Kirchenpräsident, nehmen zur Zeit an der 3. Christlichen Frie- denskonferenz in Prag teil. Prof. Dr. Albert Schweitzer sandte ein Grußtelegramm und schrieb, die Konferenz solle aussprechen, daß das Christentum seinem Wesen nach nichts anderes kann, als die Abschaffung der Atomwaffen zu fordern und Gott zu vertrauen, daß er uns ohne Atomwaffen, ohne daß wir Atomwaffen brauchen, zu schützen vermag, wenn wir tun, was der Geist unseres Herrn Jesus Christus uns befiehlt..." Zur 3. Tagung der "Prager Christlichen Friedenskonferenz" sind 200 Theologen aus 25 ost- und westeuropä- ischen Staaten in die tschechoslowakische Hauptstadt gekommen, darunter Beobachter der großen Kirchen-Institutionen. Vertreten sind der Reformierte Weltbund durch seinen Generalsekretär Pradervand, der Ökumenische Rat der Kirchen durch Dr. Williams, der Lutherische Weltbund durch Pfarrer Hansen und die Europäische Kirchenkonferenz durch Dr. Harms, Hamburg. Zu den prominentesten westeuropäischen Teilnehmern der Tagung gehören ferner der Gene- ralsekretär der Reformierten Kirche Frankreichs, R. Conorb, und der pfälzische Kirchenpräsident D. Stempel. Parlamentarisch-Politischer Pressedienst vom 9. September 1960 WIDERSPRUCH IN SICH =================== In Amerika weiß man sehr wohl, daß man der großen Entscheidung einer endgültigen Aussöhnung mit Rußland nicht mehr ausweichen kann. Die Umrisse einer solchen Lösung sind schon lange sichtbar: Verzicht auf Atomrüstung der Bundesrepublik, militärische Ent- spannung in Mitteleuropa im Sinne des Rapacki-Plans und schließ- lich Annäherung der beiden machtpolitisch uninteressant gewor- denen deutschen Teilstaaten mit dem Ziele einer endlichen Wieder- vereinigung. Solange allerdings ein Mann wie der deutsche Vertei- dungsminister Strauß - was während der Genfer Konferenz mit un- verhüllter Drohung geschah - den Aufbau einer geschlossenen Atom- front quer durch Europa ankündigen darf, kann es niemand den Rus- sen verdenken, wenn, sie routinemäßigen Friedensversicherungen nicht glauben. Westdeutsches Tageblatt vom 3. September 1960 ...KRIEG NICHT MEHR ZU VERMEIDEN ================================ Vom Tage an, da sie (die Bundeswehr) eigenmächtig über Kernwaffen verfügt, ist der dritte Weltkrieg nicht mehr zu vermeiden. Allgemeen Handelsblad, Amsterdam, vom 2. September 1960 PROTEST IN NÜRNBERG GEGEN US-FLUGPLATZPLÄNE =========================================== Der beabsichtigte Ausbau des amerikanischen Armee-Flugplatzes für Turboprop-Maschinen auf dem ehemaligen Reichsparteitagsgelände bei Nürnberg, auf dem die größte deutsche Trabantenstadt für 50 000 Menschen gebaut werden soll, hat einen Sturm von Protesten ausgelöst. Nachdem sich die Nürnberger Stadtverwaltung mit "schärfsten Pro- testen" am Mittwoch gegen die Vergrößerung des Flugplatzes ge- wandt hat, bestätigte der Nürnberger Landtagsabgeordnete Fer- dinand Drexler (SPD) am Donnerstag, einen "ungewöhnlich scharfen" Brief an das US-Hauptquartier in Heidelberg sowie an den bayeri- schen Ministerpräsidenten und den bayerischen Landtag geschrieben zu haben. Drexler nannte darin das Vorhaben der US-Militärbehörden, durch das der Bau der Trabantenstadt sowie eines pädagogischen Zentrums und der großen Nürnberger Konzerthalle gefährdet werde, eine "unerhörte Provokation" sowie eine "kaum faßbare Verletzung der menschlichen Würde zehntausender Bürger" und einen "verantwor- tungslosen Anschlag auf die Stadt Nürnberg, der auch das Ansehen der amerikanischen Armee schwerstens erschüttern müßte". Kölnische Rundschau vom 16. September 1960 GEGEN RAKETENBASIS ================== Gegen die Absicht, auf der Insel Langeoog eine Raketenbasis und eine starke Militäreinheit zu stationieren, sprach sich der Rat der Gemeinde Langeoog in einer Entschließung aus. Die Gemeinde- vertretung beauftragte die Verwaltung, allen Maßnahmen entgegen- zutreten, die die Existenz der Insel bedrohen. Westdeutsches Tageblatt vom 8. September 1960 WEHRPROPAGANDA UNERWÜNSCHT ========================== Die Bundeswehr hat ihre Absicht, sich in das Festprogramm zur 700-Jahr-Feier der Stadt Lauenburg einzuschalten, aufgegeben, teilt der DGB-Vorsitzende des Kreisausschusses, Mayr, mit. Große Beachtung hatte in der Öffentlichkeit eine Erklärung des DGB-Kreisausschusses gefunden, in der er sich gegen die Absicht wandte, in die Festveranstaltungen auch Vorführungen der Bundes- wehr einzubauen. Der Ausschuß hatte dabei sowohl auf die unmit- telbare Nähe der Zonengrenze hingewiesen als auch darauf, daß Lauenburg niemals Garnisonstadt war. bdd-information vom 9. September 1960 LUFTSCHUTZSIRENEN ================= Dem Bundesrat liegt jetzt der Entwurf des Bundesfinanzministeri- ums für eine "Allgemeine Verwaltungsvorschrift für das örtliche Alarmwesen" vor. Mit den 84 Seiten umfassenden Vorschriften wird ein weiterer Schritt zum Aufbau des Luftschutzwarn- und Alarm- dienstes in der Bundesrepublik getan. Der Luftschutzwarndienst ist eine Angelegenheit des Bundes, der Alarmdienst Sache der Gemeinden, die meisten Kosten trägt aber auch hier der Bund. In der allgemeinen Verwaltungsvorschrift wer- den für die Luftschutzsirenen einheitliche Signale festgelegt. Ein Heulton von einer Minute Dauer bedeutet Alarm bei Luftangrif- fen, ein zweimal unterbrochener Heulton von einer Minute Dauer Alarm bei radioaktiven Niederschlägen oder Gefährdung durch bio- logische oder chemische Kampfstoffe. Die Beendigung der Gefahr nach Luft- oder ABC-Alarm wird durch einen Dauerton von einer Mi- nute Dauer bekanntgegeben. Die Kosten für die Anschaffung und Wartung der Sirenen trägt der Bund. Die reinen Anschaffungskosten betragen etwa 800 DM pro Si- rene. Mit dem Einbau kommen die Gesamtkosten allerdings auf rund 3000 DM. Für die Unterhaltungskosten zahlt der Bund den Gemeinden je Sirenenstelle jährlich 160 DM. Bisher wurden von der Bundesanstalt für zivilen Luftschutz in Bad Godesberg 7200 Sirenen ausgeliefert. Etwa die Hälfte davon ist auch schon eingebaut. 5000 weitere Sirenen stehen noch zur Verfü- gung. Insgesamt werden im Bundesgebiet schätzungsweise 40 000 Si- renen montiert werden. Rund die Hälfte der etwa 10 000 noch vor- handenen alten Sirenen ist voraussichtlich noch verwendbar. Mindestens einmal im Vierteljahr müssen die Sirenenanlagen probe- weise in Betrieb genommen werden. Die Verwaltungsvorschrift ver- pflichtet die Gemeinden, der Bevölkerung Tag und Stunde des Pro- bealarms rechtzeitig öffentlich bekanntzugeben. Die Welt vom 6. September 1960 NEUE ERKENNUNGSMARKE ==================== Bei der Bundeswehr werden neue Erkennungsmarken eingeführt. Sie haben die Form einer Ellipse; in numerierten Feldern werden das Nationalitätszeichen, die Konfessionszugehörigkeit, die Per- sonenkennziffer, die Blutgruppe und der Rhesusfaktor eingetragen. Auch nach der Entlassung aus dem Wehrdienstverhältnis behält der Soldat die Erkennungsmarke. Er muß sie bei einer neuen Einberu- fung zum Wehrdienst mitbringen. Bei Reisen ins Ausland und nach Westberlin darf die Erkennungsmarke nicht mitgenommen werden. Nürnberger Nachrichten vom 6. September 1960 "PENTAGON" IN BONN ================== Da will nun also das Bundesverteidigungsministerium einen seit Jahren gehegten und dann doch mehrmals zurückgestellten Wunsch nach einem gewaltigen "Pentagon" in Bonn endlich verwirklichen. Fünf stattliche Bürokomplexe, gekrönt von einem elfstöckigen Hochhaus, so bietet sich dieses Projekt dem staunenden Bundesbür- ger dar. Bereits der Voranschlag sieht dafür 22 Millionen DM In- vestitionskosten vor; hintendrein werden's dann wohl, unrühmli- chen Traditionen folgend, sogar noch ein paar Millionen DM mehr sein. Weil auch schlechte Beispiele Schule zu machen pflegen, wollen sich fünf weitere Bundesministerien in soliden, das Provi- sorische sichtbar überwindenden Neubauten etablieren. Noch sind diese Neubauten zwar nicht beschlossen, noch sind die Projekte nicht über erste Anforderungen hinaus gediehen. Aber was wird folgen, wenn sich die Neubauwünsche konkretisieren? Die Mehrheit des Bonner Bundestages wird, genau wie in den ganzen letzten Jah- ren, zu guter Letzt ja und amen sagen und neue Millionensummen aus dem Steuertopf bereitstellen. Denn die Bundesrepublik, nicht wahr, ist doch mehr als ein Provisorium, und das muß doch jedem, der in Bonn sitzt oder nach Bonn kommt, anschaulich demonstriert werden... Dabei hätte ja dieses als "vorläufige" Bundeshauptstadt gedachte Bonn die bundesdeutschen Steuerzahler eigentlich längst genug ge- kostet! Wenn's erlaubt ist, sei wieder einmal an die 9,5 Milliön- chen erinnert, die man Anno 1949 dem Volke als Kosten für den Ausbau Bonns zum Hauptstadt-Provisorium vorgegaukelt hatte. Be- reits acht Jahre danach war die runde Summe von 237 (!) Millionen DM daraus geworden. Und jetzt soll dieses "Konto Bonn" vollends auf 300 und noch mehr Millionen DM aufgeplustert werden? Wahr- haft, man läßt sich die nationale Tragödie, das Provisorium Bonn in etwas Endgültiges umzumünzen, etliches kosten. Der Steuerzahler, August 1960 CDU-ABGEORDNETER EHREN: KÄMPFEN WIE AM ANNABERG =============================================== Wir hatten einmal einen Minister Oberländer. Wir haben noch einen Minister Seebohm, dessen schwarzweißrote Reden auf den Sudetenta- gen kein Ruhmesblatt für ihn und unsere Regierung waren. Jetzt haben wir dazu einen CDU-Bundestagsabgeordneten Hermann Ehren, der als Vizevorsitzender der Oberschlesier gestern in Düsseldorf einen Maulkorb verdient hat. Dieser gewählte Volksvertreter brachte es fertig, vor seinen Landsleuten und der in- und auslän- dischen Presse - darunter vielen polnischen Journalisten - zu be- haupten: Für die Freiheit würden "wir" notfalls kämpfen, w i e "d a m a l s a m A n n a b e r g". Und: "D i e O b e r- s c h l e s i e r s i n d i m m e r D e u t s c h l a n d s b e s t e S o l d a t e n g e w e s e n." Neue Rhein-Zeitung vom 29. August 1960 11,2 MILLIARDEN FÜR STRAUSS =========================== Der Bundeshaushalt 1961 mit fast 45 Milliarden DM Gesamtausgaben erheblich dicker als der jetzige Etat, wird gleich nach den Par- lamentsferien Bundesrat und Bundestag mit Vorrang beschäftigen. Erstmalig wird der Haushalt nicht am 1. April, sondern mit Jah- resbeginn in Kraft treten, so daß wenig Zeit für eingehende Bera- tung und etwaige Einsparungen bleibt. Der größte Brocken ist der Verteidigungshaushalt, der mit 11,2 Milliarden auf jeden Fall den Sozialhaushalt übersteigt - auch wenn dabei nicht unmittelbar dazugehörende Posten wie Lastenaus- gleich usw. mitgerechnet werden. Eine halbe Milliarde der zusätz- lichen Verteidigungslasten sind Personalausgaben, die sich aus der Verstärkung der Bundeswehr ergeben. Beträchtlich erhöht wurden auch die Mittel für das Bundesamt für Wehrtechnik und für die wehrtechnische Forschung, Entwicklung und Erprobung. Zum erstenmal taucht ein Ausgabeposten von 21,8 Mill. DM für Nato-Depotanlagen im Ausland auf, die von der Bundeswehr benutzt werden sollen. Nach der Bekanntgabe steigender Zahlen von östlichen Agenten im Bundesgebiet steigt auch die Summe, die zu ihrer Bekämpfung aus- gegeben werden soll. Für den Verfassungsschutz sind 1,5 Millio- nen, für den Bundesnachrichtendienst 1 Mill. D-Mark mehr als bisher vorgesehen. Steigende Tendenz ist auch bei den Ausgaben für Information und Propaganda im In- und Ausland zu verzeichnen. Das Bundespresseamt soll durch einen Anbau für 1,5 Mill. DM Baukosten vergrößert und personell verstärkt werden. Der umstrittene "Reptilien"-Fonds "zur Verfügung des Bundeskanzlers für die Förderung des Informa- tionswesens", der keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegt, ist wieder auf 13 Mill. festgesetzt worden. Das Bundesinnenministerium will zum erstenmal die Milliarden- grenze überschreiten. Mehrausgaben sind für den Bundesgrenzschutz ebenso wie für die Förderung der Wissenschaft und für Zuschüsse an Studenten vorgesehen. An Studenten sollen 80 statt bisher 59 Mill. DM ausgeschüttet werden. Dasselbe gilt für die Bundestagswahl 1961: Die Kosten dafür wer- den mit 6,3 Mill. DM um eine runde Million höher als 1957 ange- setzt, weil sich die Wahlberechtigten um beinahe 1 1/2 Millionen vermehrt haben und die Mieten für Wahllokale ebenso gestiegen sind wie die Unkosten für Wahlhelfer und Drucksachen. Neue Rhein-Zeitung vom 6. September 1960 HÄTTEN WIR VOR LENINGRAD ATOMWAFFEN GEHABT... ============================================= ...Der deutsche Angriff über die Aisne im Juni 1940, der trotz größtem Artillerieeinsatz gegen die feindlichen Stellungen am er- sten Angriffstage scheiterte, wäre schwerlich gescheitert, wenn man seinerzeit eine gewisse Anzahl taktischer Atomwaffen gegen die feindlichen Stellungen hätte einsetzen können. Leningrad, das schon im September 1941 von deutschen Kräften eingeschlossen wor- den war, hätte zu damaliger Zeit ebenso in kürzester Zeit durch Atomwaffeneinsätze ausgeschaltet werden können, wie dies später hinsichtlich der Festung Sewastopol möglich gewesen wäre. Die Ausräumung der Kessel von Kiew, Brjansk und Wjasma im Herbst 1941 wäre mit Hilfe von Atomwaffen statt in wenigen Wochen in wenigen Stunden durchführbar gewesen. Das wäre für die Fortsetzung der deutschen Offensive von ungeheurem Vorteil gewesen. Denn durch die dadurch erzielte Zeitersparnis wären die deutschen Streit- kräfte voraussichtlich nicht in die Schlammperiode und den an- schließenden Winter hineingeraten und die sibirischen Divisionen wären dann wohl zu spät auf dem europäischen Kriegsschauplatz eingetroffen, um so mehr, wenn seinerzeit die Möglichkeit bestan- den hätte, Moskau als eines der wichtigsten Verkehrszentren zu atomisieren... "Wehrkunde", Zeitschrift für alle Wehrfragen, Organ der Gesell- schaft für Wehrkunde Nr. 7, IX. Jahrgang, München, Juli 1960 EWIGE WIDERKEHR =============== Es mag noch hingehen, daß die Generäle von jenseits des Rheins nukleare Waffen fordern, unter Mißachtung aller unterschriebenen Abkommen. Das Verlangen nach atomaren Waffen, so bedenklich es auch ist, ist nicht das, was uns am meisten beunruhigt. Was we- sentlich schwerer wiegt, ist die Einmischung des deutschen Gene- ralstabs in die Politik schlechthin, ist die Umkehrung des be- rühmten Satzes von Clausewitz in: "Politik ist die Fortführung des Krieges mit anderen Mitteln". Schon einmal haben deutsche Ge- neräle eine deutsche Republik zu Grabe getragen. Man mag über die angeblichen Blitzkriegspläne gegen die DDR la- chen - man kann nicht lachen, wenn man sieht, wie die alten Ge- neräle Hitlers, denn andere gibt es ja nicht in der Bundeswehr, sich in die Innen- und Außenpolitik des Landes einmischen. Wenn in den Jahren zwischen 33 und 39 die deutschen antifaschi- stischen Flüchtlinge vor den Gefahren des Hitlerismus warnen wollten, lachte man sie aus. Aber wenn jetzt dieselben deutschen Generäle, die unter der Nazifahne drei Viertel Europas überfallen und zerstört haben, wiederum versuchen, sich in die Politik erst ihres Landes, dann Europas und schließlich der Welt einzumischen, wurden wir rechtzeitig gewarnt. Informations et Conjoncture, Paris, vom 15. September 1960 PATHETISCHE VERSICHERUNGEN ========================== Wären die Heimattreffen, was sie zu sein vorgeben, nämlich gesel- lige Zusammenkünfte engerer Landsleute, so könnte auch der Miß- trauischste nichts dawider vorbringen. Unstreitig benutzen aber die Berufsvertriebenen die nach Hunderttausenden zählenden Men- schenkulissen, um einen nicht realisierbaren Anspruch hochzuput- schen und die Massen im Gefühl eines permanenten Unrechts zu wie- gen... Natürlich fehlt in keiner Vertriebenenrede die pathetische Versicherung, man verzichte auf Haß und Rache, man verzichte auf den dritten Weltkrieg. Und dafür wollen sie dann auch noch gelobt werden. Dabei haben Russen, Polen und Tschechen zusammen den Deutschen bis zum heutigen Tag nicht halb soviel mordlüsternes Unrecht angetan wie wir den Ostvölkern. Es gehört die ganze Naivität des Wirtschaftsministers dazu, auf eine Stufe zu stel- len, was wir und was die Sowjets den Polen getan haben (und was die Polen uns). Der Spiegel vom 5. September 1960 102 MRD. DM KRIEGSLASTEN IN FÜNF JAHREN ======================================= Der Bund der Steuerzahler, der bereits mehrfach sehr kritisch die Geldausgabepolitik des Bundes untersucht hatte, wendet sich in einer neuen, am Dienstag veröffentlichten Einzeldarstellung gegen die nach seiner Meinung vielfach nicht gerechtfertigte Geldausga- betechnik des Bundesverteidigungsministeriums. 'Der Bund der Steuerzahler', heißt es in der Denkschrift, 'will, daß für einen bestimmten Zweck nicht mehr Gelder bewilligt werden, als unbe- dingt notwendig ist...' Aus der Darstellung des Steuerzahlerbun- des, die von Vorstandsmitglied Staatssekretär a.D. Muttray erläu- tert wurde, geht hervor, daß von 1956 bis 1960 rund 53,5 Milliar- den DM Verteidigungslasten im engeren Sinne entstanden sind. Als Gesamtbelastung des Steuerzahlers mit allen Verteidigungslasten gibt der Bund der Steuerzahler für diese fünf Jahre sogar eine Summe von rund 102 Milliarden DM an, wobei allerdings beispiels- weise die Kriegsopferversorgung, die sozialen Kriegsfolgelasten und die Sonderleistungen für Berlin mitberücksichtigt wurden. Frankfurter Rundschau vom 31. August 1960 VÖLLIGE VERNICHTUNG DER MENSCHHEIT ================================== Als völlig verfehlt kritisiert der ehemalige Chef des Fernlenk- waffenamtes der amerikanischen Armee, Generalmajor Medaris, die amerikanische Verteidigungspolitik. In der Zeitschrift "Look" schreibt Medaris, Amerikas Verteidigung scheine sich lediglich auf eine Lehre der Massenvernichtung zu gründen ... Unter Hinweis auf die Schätzung eines Senators, der den amerikanischen Atomwaf- fenvorrat auf "umgerechnet zehn Tonnen TNT für jeden Mann, jede Frau und jedes Kind auf der Welt" bezifferte, schreibt Medaris, Amerika bereite sich offensichtlich nicht nur auf Vergeltung, sondern auf völlige Vernichtung vor. Frankfurter Allgemeine vom 13. September 1960 NACH FÜNF JAHREN SCHON VERGESSEN ================================ Ist es nicht aufschlußreich, daß fünf Jahre nach dem gewiß histo- rischen Besuch Adenauers in Moskau in keiner Rede und fast in keiner Zeitung Bilanz gezogen wird? Diese Politik des Schweigens redet doch Bände! Molotow sagte 1955 in Moskau zu den Deutschen, es wäre besser gewesen, der Besuch wäre fünf Jahre früher er- folgt. Wer sagt, daß das unrichtig war? Aber wenn es stimmte, wo- rauf warten wir dann jetzt? Wie lange wollen wir noch den Traum träumen, die Zeit arbeite für uns? Es gibt aber im Osten noch sehr viel zu bereinigen. Und da es angeblich niemanden in diesem Lande gibt, der die Bereinigung mit Gewalt erzwingen will, muß man fünf Jahre nach dem Moskau-Besuch des Bundeskanzlers fragen, warum von uns aus so fatal wenig in dieser Richtung geschieht. Oberfränkische Volkszeitung vom 13. September 1960 DIE FOLGEN "IHRER" POLITIK ========================== Die Regierung der Vereinigten Staaten will jetzt vorsorglich ein drittes druck- und strahlensicheres Ausweichquartier für 500 Re- gierungsbeamte in Texas bauen. Die Staatsführung soll nach dort übersiedeln, wenn die anderen Schutzbunker zerstört sind. Eine Lebensprobe, die 30 Personen in einem Atombunker über sich erge- hen ließen, erwies sich als grausig. Existenzbedingungen sind für die Überlebenden eines atomaren Vernichtungsschlages nicht gege- ben. Man stellt daher die Frage, was überhaupt noch regiert wer- den soll, wenn die Staatsmänner nach einem Atomangriff wieder ans Licht steigen und die Folgen ihrer Politik bestaunen... Die Schutzvorkehrungen, die unter dem Sammelbegriff "Atomschutz für die Zivilbevölkerung" den optimistischen Glauben an ein Wei- terleben wecken sollen, erscheinen als hilfs- und wirkungslose Fluchtversuche vor der unausweichlichen Vernichtung. Im Grunde genommen sind sich die Experten der Atomstrategie in der ganzen Welt darüber einig, daß ein atomar geführter dritter Weltkrieg unter Umständen nur noch einige Käferarten und Kriechgewächsen die Chance des Überlebens läßt. Selbst wenn eine größere Schicht von Privilegierten in druck- und strahlensicheren Bunkern das Atomgewitter überleben sollte: sie wird in eine zur totalen Wüste gewordene Welt eintreten, in der alle für die menschliche Exi- stenz notwendigen Lebensbedingungen zerstört sind. Wenn diese Be- dingungen fehlen, helfen auch keine auf Jahrzehnte berechneten Nahrungsmittelvorräte... Daher begreift man die um sich greifende Resignation der Menschen, wenn staatsmännischer Weisheit letzter Schluß die atomare Aufrüstung der Welt ist. Westdeutsches Tageblatt vom 13. September 1960 GOMULKA: DEUTSCHLAND HAT SEIN SELBSTBESTIMMUNGSRECHT VERLOREN ============================================================= Wladislaw Gomulka, der Erste Sekretär der Polnischen Arbeiterpar- tei, sagte in Warschau: "Die Deutschen haben das Recht verloren, ihre Grenzen und andere Dinge selbst zu bestimmen, die durch einen künftigen Friedensvertrag festgelegt werden müssen. Dieses Recht wurde von den Hitlerleuten unter der Asche der Krematorien begraben." Gomulkas Erklärung wurde von politischen Beobachtern als Antwort auf die Erklärungen deutscher Vertriebenenverbände gewertet und mit den polnischen Bestrebungen in Zusammenhang ge- bracht, eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze auch bei den West- mächten zu erwirken. Gomulka sprach zum Erntesonntag vor 100 000 Menschen in einem Warschauer Stadion. Süddeutsche Zeitung vom 5. September 1960 PRAWDA ATTACKIERT DOGMATIKER UND SEKTIERER ========================================== In einem offenbar gegen China gezielten Artikel greift die "Prawda" am Freitag wieder "Linksabweichler und hoffnungslose Dogmatiker" innerhalb der kommunistischen Welt an. Der von dem Mitglied der sowjetischen Akademie der Wissenschaften Schukow verfaßte Artikel befaßt sich mit der verschiedenen Ein- stellung des kommunistischen Lagers zu den "Nationalen Freiheits- bewegungen". "Dogmatiker und Sektierer, die die Gesetze der sozialistischen Entwicklung nicht begreifen, behaupten, daß die Verwirklichung des Leninschen Prinzips einer friedlichen Koexistenz die Entwick- lung der nationalen Befreiungsbewegung in den Kolonialländern aufhält. Lediglich kleinliche bürgerliche Linksabweichler und hoffnungslose Dogmatiker können die große historische Bedeutung der Tatsache leugnen, daß in Asien und Afrika neue Nationalstaa- ten geboren wurden." "Obwohl die meisten neuen Nationalstaaten von bürgerlichen Poli- tikern geführt werden, die unter einer nationalistischen Flagge marschieren, kann dieses die fortschrittliche historische Bedeu- tung des Einbruchs in die imperialistische Front nicht verrin- gern. Doktrinäre Elemente und Linksabweichler erlauben sich, an- gesichts dieser Formen der nationalen Befreiungsbewegung, die nicht in das übliche soziologische Schema paßt, ihre Nase zu rümpfen. Sie vergessen dabei lediglich, daß das Leben keinen "reinen" Revolutionsprozeß kennt." "Der Marxismus-Leninismus hält den Versuch, die Revolution zu ex- portieren, für eine reaktionäre Utopie." Die Welt vom 27. August 1960 ECHTE OPPOSITIONSPARTEI GEFORDERT ================================= Auf einer von 200 Teilnehmern besuchten Kundgebung des Stormarner Kuratoriums "Nie wieder Hiroshima" am 2. September in Ahrensburg (Schleswig-Holstein) forderten die Sprecher im Hinblick auf die Bundestagswahl 1961 den Zusammenschluß aller Kräfte, die für Frieden und Verständigung und gegen die Atomrüstung der Bundes- wehr eintreten. Der Bürgerschaftsabgeordnete Albert Berg sagte unter Hinweis auf die Rede Brandts, es sei ihm unverständlich, warum bisherige CDU- Wähler der SPD ihre Stimme geben sollten - in einem Augenblick, wo Brandt, Wehner und Erler erklären, daß Adenauers Politik rich- tig war. Bei dieser Lage würden viele im Wahlkampf nach einer echten Oppo- sitionspartei suchen. Zusammen mit einem mit 1000 Unterschriften versehenen Appell für Frieden und Abrüstung wurde ein Schreiben an den UN-Generalsekre- tär Hammarskjöld gesandt, in dem es u.a. heißt: "Wir ersuchen die Staaten, ihre Bemühungen zur baldigen Lösung des Abrüstungspro- blems fortzusetzen. Poralis-Raketen in der Bundesrepublik und die atomare Ausrüstung der Bundeswehr betrachten wir als ernste Ge- fährdung des Bestandes unseres Volkes." bdd-information vom 9. September 1960 WESTBERLIN NICHT GLIED DER BUNDESREPUBLIK ========================================= Das Problem Berlin ist komplizierter, als es die Scharfmacher heute gerne hinstellen, und auch gefährlicher. Die Abmachungen, auf denen die Existenz der westlichen Stadt beruht, sind zwischen Ost und West rechtlich umstritten. Daß Westberlin heute weithin als ein Teil der Bundesrepublik angesehen wird, ist nicht so selbstverständlich, wie es scheint. Die westlichen Besatzungs- mächte sind heute noch der Auffassung, daß Berlin nicht Glied der Bundesrepublik ist. Und wenn über komplizierte juristische Schachzüge auch das Bundesrecht geltendes Recht für Westberlin ist, so ist das nur auf die stillschweigende Duldung der Alliier- ten unter dem Vorbehalt des jederzeitigen Widerrufs zurückzufüh- ren (jedenfalls wird diese Meinung in der vom Bonner gesamtdeut- schen Ministerium herausgegebenen Schrift "Der Viermächte-Status Berlins", erschienen im Frühjahr 1959, einwandfrei vorgetragen). Fuldaer Volkszeitung vom 10. September 1960 NUR EINE ENTGLEISUNG? ===================== Wir haben verschiedentlich die westliche Welt gedrängt, in der Berlin-Frage rasch etwas zu unternehmen. Was wir damit gemeint haben, war Unbesonnenheit, und wir bedauern es deshalb besonders, daß ausgerechnet Vizekanzler Erhard auf Berliner Boden eine Be- merkung gemacht hat, die den Westmächten mit Recht mißfallen hat. Er sagte: "Ob es Herrn Ulbricht paßt oder nicht, ich befinde mich hier auf dem Boden der Bundesrepublik". Das ist nicht nur falsch, denn Berlin gehört bekanntlich nicht zur Bundesrepublik, sondern in diesem Augenblick auch alles andere als wünschenswert. Der Mittag vom 13. September 1960 AUSLANDSECHO AUF ERHARD-REDEN IN DÜSSELDORF UND WESTBERLIN ========================================================== Es ist eine bekannte Tatsache, daß die westliche Politik in der Frage der deutsch-polnischen Grenzen die Dinge auf sich beruhen läßt. Dr. Adenauer weiß das sehr gut, und eine polnische Note über das Problem ist kürzlich von Deutschlands Verbündeten auf die übliche, juristisch spitzfindige, aber loyale Weise beantwor- tet worden. Warum läßt er aber dann zu, daß die Propaganda unter den Flüchtlingen aus verschiedenen Fonds subventioniert wird? Warum spricht er selbst auf einem Propagandatreffen über die eventuelle Rückkehr Ostpreußens? Warum ist es dem Vizekanzler ge- stattet, an einer Aktion teilzunehmen, die nach der Bemühung aus- sieht, die schlafenden Hunde zum Bellen zu bringen? Es muß in Bonn Leute geben, die alt genug sind, um sich erinnern zu können, warum die Sonntagsreden in Deutschland über das Problem seiner Ostgrenze in Großbritannien nur die schmerzlichsten Erinnerungen wachrufen. The Daily Telegraph * Düsseldorf war wiederum der Treffpunkt einer deutschen Irredenta- organisation, diesmal der oberschlesischen Flüchtlinge... Dr. Adenauer sollte vor ihnen sprechen, aber der Kanzler zog sich zu- rück. Offenbar wegen der ungünstigen Reaktionen, die seine Rede vor den Ostpreußen vom 10. Juli im Ausland hatte... Vorher war angekündigt worden, daß Dr. Adenauer bei diesem Treffen Prof. Jaspers antworten würde... Prof. Erhard machte keinen solchen Versuch. Indem er die irredentistischen Forderungen dieser und anderer Flüchtlingsorganisationen unterstützte, hat Prof. Erhard erneut demonstriert, daß die Bundesregierung nicht zufrieden sein wird, bis das alte Bismarcksche Deutschland wiederhergestellt ist. The Times * Auf jeden Fall muß an eins erinnert werden: General de Gaulle selber hat indirekt die Rechtmäßigkeit der Oder-Neiße-Grenze an- erkannt. Die Bevölkerung, die augenblicklich Schlesien bewohnt, ist rein polnisch und hat dort in einem Land, das übrigens früher zu Polen gehörte, ein rein polnisches Leben geführt. Diese Tatsa- che nicht anzuerkennen bedeutet, im Herzen Europas das gefähr- lichste Ferment des Hasses zu züchten, durch das in der Folgezeit äußerst gefährliche Abenteuer entstehen könnten. Combat * Radio Moskau erklärte am Montagabend zu der Rede von Vizekanzler Erhard auf dem Oberschlesiertreffen in Düsseldorf, Erhard und die Bundesregierung seien offenbar "größenwahnsinnig". Im "Taumel des Revanchegedankens" hätten sie den Verstand verloren. Erhard habe im Namen der deutschen Bundesregierung "in fast denselben Aus- drücken wie früher Hitler" Gebietsansprüche an Polen gestellt und eine üble Hetze gegen die Sowjetunion entfaltet. * Selten konnte man in französischen Zeitungen so viel über die Bundesrepublik lesen wie in diesen Tagen. Allerdings handelt es sich dabei fast ausschließlich um kritische, wenn nicht gar feindselige Stimmen. Ist gegenseitige Kritik unter guten Freunden durchaus wünschenswert, so wird man diesmal eher an Zeiten erin- nert, in denen das Schlagwort von der ewigen deutschen Gefahr in Frankreich gang und gäbe war. Anlaß bieten dreierlei Ereignisse: Die Erklärungen der Minister Erhard und Seebohm vor oberschlesi- schen und sudetendeutschen Flüchtlingen, die Denkschrift der Bun- deswehr und die geplante deutsch-englische Rüstungszusammenar- beit. Die Zeit vom 9. September 1960. (Aus dem Bericht des Pariser Mit- arbeiters.) * Bisher gibt es keine Anzeichen dafür, daß die Engländer ihre er- sten Reaktionen zur Berlin-Krise noch einmal überdenken wollen - trotz der kritischen Anmerkungen aus der Bundesrepublik. Der Leitartikel der Times vom 1. September ist inzwischen berühmt ge- worden. Er soll, so berichtet der Berliner Korrespondent einer Londoner Zeitung, in Deutschland dieselben Gefühle hervorgerufen haben wie jener andere berühmte Appeasement-Artikel der Times vom 7. September 1938. Das Londoner Blatt wirft den Deutschen vor, daß sie ihre Karten zu hoch reizten, und wenn sie bei dieser Me- thode blieben, warnte die Times, "wird sich unter den westlichen Verbündeten die Meinung verbreiten, daß ihre Verpflichtungen, die sie gegenüber Westberlin eingegangen sind, ausgenutzt werden." Die Treffen der Heimatvertriebenen in Berlin nannte die Times "unnötig" und "provokativ". Die Zeit vom 9. September 1960. (Aus dem Bericht des Londoner Mitarbeiters.) SCHAFTSTIEFEL, FAHNEN UND ORDEN =============================== "Zur Totenehrung - Fahnen senken!" kommandierte W.F. Sander, I. Bundesvorsitzender des Stahlhelms. Rund tausend zum größten Teil alte Männer waren angetreten, in Zivil zwar, aber wie auf dem Ka- sernenhof, die meisten von ihnen geschmückt mit Miniaturausgaben deutscher Orden aus dem Ersten und Zweiten Weltkrieg. Die über 60 Fahnenträger führten das Kommando mit alten Reichskriegsflaggen und Stahlhelmtraditionsfahnen aus. Zwei jüngere Männer, in der Uniform der Scharnhorst-Jugend - feldgrau mit Schaftstiefeln oder Keilhosen - legten einen Kranz nieder. Ein Nieselregen kam vom grauen Himmel. Zwei französische Offiziere, die der Zeremonie beiwohnten,, machten eisige Mienen, während zwei Korrespondenten der rotchinesischen Nachrichtenagentur Hsinhua die Szene von al- len Seiten photographierten. Dies war der äußere Höhepunkt des Stahlhelm-Delegiertentages 1960 in Saarbrücken. Der Schauplatz war die Gefallenengedenkstätte auf dem Nußberg - nicht weit entfernt von den Spicherer Höhen, auf denen in drei Kriegen viele Deutsche verbluteten; nicht weit ent- fernt aber auch von dem Mahnmal auf der alten Römerstraße nach Metz, das an die im Konzentrationslager Saarbrücken zu Tode Ge- folterten erinnert. Schon vor Beginn des Stahlhelm-Treffens waren Proteste bei der Landesregierung eingegangen: Der DGB nannte das Treffen eine Pro- vokation gegenüber dem benachbarten Frankreich; die Internatio- nale der Kriegsdienstgegner ging über den schriftlichen Protest hinaus und empfing die Stahlhelm-Delegierten am Fuß des Nußberges mit Transparenten. Eines davon trug einen hakenkreuzverzierten Stahlhelm alter Machart und die Aufschrift "Hunde, wollt ihr ewig leben?" Dagegen schickte der saarländische Ministerpräsident und derzei- tige Bundesratspräsident Röder dem Stahlhelm ein Grußwort, in dem es hieß: "Es ist das Ziel Ihres Verbandes, den Geist der Rit- terlichkeit, der Opferbereitschaft und der Liebe zum deutschen Volk zu erhalten und zu pflegen, Sie reihen sich damit ein in die Schar der Männer und Frauen, die durch ihren persönlichen Einsatz den Aufbau und Bestand unseres freiheitlichdemokratischen Staates fördern." Wesentlich lauer war ein Grußwort des Saarbrücker Ober- bürgermeisters Schuster, jedoch nahmen drei Landtagsabgeordnete der CDU und DPS/FDP an der Kundgebung des Stahlhelms teil. Die SPD ignorierte die Veranstaltung. Fahnen rechts, Fahnen links, Schellenbaum und Gaubezeichnungen, unter denen weder die "Nordmark" noch "Danzig" fehlten, so zog der Stahlhelm zum Nußberg. Die Regierung vertrat ein Ministerial- dirigent. Er schaute etwas konsterniert drein, als in einem Atem- zug mit ihm und den Abgeordneten auch der Landesvorsitzende der Deutschen Reichspartei herzlich begrüßt wurde (der DRP wurde zu- letzt in Saarbrücken eine Veranstaltung mit Rudel verboten). Die Berichterstatter von Radio Moskau, die Korrespondenten aus Peking, der Bonner TASS-Korrespondent und ein Abgesandter des Neuen Deutschland warteten darauf, was ihnen in den nächsten Stunden an Zeugnissen wiedererwachenden deutschen Militarismus geboten würde. Die Bundeswehr war auch vertreten. Einer ihrer Of- fiziere trug das Stahlhelm-Abzeichen auf der ordenbehangenen Brust. Dann gab die Stahlhelm Bundesführung eine Erklärung ab. Immer noch gelte das alle Prinzip, daß der Angriff die beste Verteidi- gung sei, hieß es darin. Dies sei jedoch nicht etwa im kriegeri- schen Sinn gemeint, sondern man müsse vielmehr dem bolschewisti- schen Imperialismus etwas anderes entgegenstellen, über ihn auf- klären. Die "soldatische Potenz" der Bundeswehr sei jedoch zu stärken. Das Wirtschaftswunder gefährde unsere innere Festigkeit. Die Festrede hielt der FDP-Abgeordnete Kohl aus Hessen. Er verwob Feststellungen wie die, daß Generalfeldmarschall Kesselring all- gemein als Vorbild zu gelten habe und daß es "soldatische Tu- genden an sich" gebe, mit manchem Zeugnis persönlicher demokrati- scher Grundhaltung. Dafür wurden ihm denn auch Zwischenrufe zu- teil wie: "schneller" und "kürzer fassen". Beim Großen Zapfen- streich befahl ein Schaftstiefelträger "Helm ab zum Gebet", ob- wohl alle Anwesenden weder Helm noch Hut trugen. Als bei der Delegiertentagung der ehemalige Reichskanzler von Pa- pen erschien, sprangen alle spontan auf. Die Journalisten blieben geschlossen sitzen und wurden deswegen prompt des Saales verwie- sen, "Bundeshauptmann" Girgensohn, über die Stärke des Stahlhelms befragt, erwiderte: "Keine Auskunft! Aber unser Schwerpunkt liegt in Norddeutschland, und wir haben selbstverständlich auch aktive Mitglieder in der Bundeswehr." Süddeutsche Zeitung vom 6. September 1960 WEIHBISCHOF KAMPE: EINE ILLUSION ================================ Nach dem scharf kritisierten Baseler Philosophen Jaspers hat jetzt auch der Limburger Weihbischof Kampe erklärt, daß wir uns von der Illusion freimachen müßten, die früheren Grenzverhält- nisse vor 1937 oder 1945 wiederherstellen zu können. Das Heimatproblem werde immer schwieriger: je länger der gegen- wärtige Zustand dauere, desto mehr gewännen die in den Vertrei- bungsgebieten angesiedelten Polen und Tschechen neues Heimat- recht, das nicht willkürlich beseitigt werden könne. Nur guter Wille und freiwillige Versöhnung könnten das Unheil aus der Welt schaffen. Neue Ruhr-Zeitung vom 19. September 1960 WAR ADENAUERS STAATSSEKRETÄR BEAUFTRAGTER HIMMLERS? =================================================== Das DDR-Regime hat seine Propagandakampagne gegen den Staatsse- kretär im Bundeskanzleramt, Globke, fortgesetzt. Der "Ausschuß für deutsche Einheit" in Ost-Berlin unterbreitete am Montag 45 führenden Mitgliedern der antifaschistischen Widerstandsbewegung aus 17 Ländern angebliche Original-Dokumente über "die Verbrechen des Bonner Staatssekretärs Globke". Es soll sich um Akten han- deln, die beweisen, daß Globke im Auftrage Himmlers nach der Ab- setzung Mussolinis das nazistische Besatzungsregime in Italien aufrichtete. Frankfurter Rundschau vom 14. September 1960 BILANZ DER LEIPZIGER MESSE ========================== Mit einem Gesamtumsatz von 2,735 Mrd. Ostmark wurde die Leipziger Herbstmesse 1960 beendet, erklärt das Messeamt. Dem offiziellen Abschlußkommunique zufolge erhöhten sich die Umsätze gegenüber dem Vorjahr um 25 Prozent. Vom Gesamtumsatz entfielen auf westli- che Länder 1,777 Mrd., auf die Länder des Ostblocks 1,558 Mrd. Ostmark. Die einwöchige Messe wurde nach offiziellen Angaben von 266 000 Gästen aus 76 Ländern besucht. Aus der Bundesrepublik seien 33 725, aus Westberlin 1929 Messegäste gekommen. Gegenüber dem Vorjahr habe sich die Zahl der Besucher aus der Bundesrepu- blik und aus Westberlin um 6761 erhöht. Die Welt vom 13. September 1960 AUSBAU DES OSTHANDELS ===================== Die Bundesrepublik hat nicht das Recht, ihre NATO-Verbündeten we- gen der Berlin-Frage in einen Handelsboykott der Sowjetzone hin- einzuziehen. Es ist am besten, diese Boykottpläne ruhen zu las- sen. Wir wollen keine Schachfiguren in einem politischen Spiel werden, in das uns der eine oder andere Nato-Partner verwickeln möchte... Es kann in niemandes Interesse sein, die Spannungen, die zwischen West- und Ostdeutschland bestehen, zu verschärfen. Dies ist ein völlig unverantwortliches Unterfangen der Westdeutschen, die so- viel unternehmen, was Erbitterung und Reibung verursacht. Norwe- gen hat keinen einleuchtenden Grund, seine Handelsbeziehungen zu Ostdeutschland abzubrechen. Wir ziehen es statt dessen vor, die- sen Handel weiter auszubauen. Dagbladet, Oslo, vom 12. September 1960 BEMERKENSWERTE INTERVIEWS ========================= Die Abendpost hat gestern in mehreren "60-Sekunden-Interviews" mit westdeutschen und Westberliner Geschäftsleuten, die seit Jah- ren im Interzonenhandel stehen, zu erfahren versucht, wie sie nun die Maßnahmen und den Aufruf "Kein Kaufmann mehr in die Zone" be- urteilen. "Elmenhorst K.G., Frankfurt. Ja, ich habe auch davon gehört, aber ich glaube nicht, daß es zu ernsten Maßnahmen kommt. Der Handel ist schließlich das einzige Band mit drüben. Man soll das Kind nicht mit dem Bade ausschütten. Wir können ja schließlich nicht sagen: na schön, wir machen das Geschäft zu und hängen uns auf. Bei uns ist das nicht Profitgier, sondern kaufmännische Ver- nunftssache. Wenn der Westen mit einer Visasperre antwortet, dann ist das schon vernünftiger." Die Elmenhorst K.G. in Frankfurt vertritt in der Bundesrepublik die "Vereinigte Grobgarnwerke" in Kirschau in Sachsen und die "Gebr. Friese AG" - Privatfirmen, wie man betonte. Sie verkauft Schlafdecken, Grobgarntücher, Campingdecken, Poliertücher usw. Der Vorsitzende des "Ausschusses zur Förderung des deutschen Han- dels" in Hessen, Herr Niemand, ließ seinen Anschluß auf Auftrags- dienst schalten: "...der Teilnehmer ist zur Leipziger Messe..." Und im bekannten Import-Export-Unternehmen "E. van Hazebrouck KG", das auch im Interzonenhandel große Erfahrungen hat, hieß es: "...ja, das Interzonengeschäft wird ausschließlich von Herrn Kon- sul van Hazebrouck allein besorgt. Er aber ist zur Zeit nicht da. Nur er kann Auskunft geben..." Herr Petersen von der Reederei Helmut Thimm & Co. in Hamburg, die die Befrachtung von Massengütern im Europa- und Überseeverkehr als Spezialist hervorhebt, meinte: "Natürlich wird eine Einschränkung des Geschäftsverkehrs zwischen der Zone und uns große Nachteile mit sich bringen. Die Befrach- tung unserer Schiffe mit Transitwaren zum Beispiel aus Polen und der CSR oder mit Gütern der Zone ist sehr beliebt. Wir haben ganz ausgezeichnete Erfahrungen mit den Leuten drüben gemacht, sie zahlen prompt, rechnen korrekt ab. 'Kein Kaufmann in die Zone', eine Forderung, die die Reeder mit einem weinenden Auge hören." Nicht anders die "Deutsch-Hellenische Schiffsagentur" in Hamburg, die regelmäßig Liniendienst von Hamburg und der Zone nach der Le- vante und dem Roten Meer hat: "Das wäre ein ziemlicher Abbruch für unser Geschäft. Und wer die Stellung des Hamburger Hafens kennt, der weiß, was das bedeutet." Doch wie urteilt nun ein Westberliner Kaufmann, der im innerdeut- schen Handel erfahren ist und der dazu im Brennpunkt Berlin sitzt? Herr Weser, Exporteur und Importeur im Kohlen- und Heizölhandel, der vor allem Braunkohleerzeugnisse aus der Zone exportiert und einführt, sagte: "Also ich halte die Erhardsche Forderung für irreal. Man kann nicht am 16. August das Interzonen-Handelsabkommen erweitern und uns sagen, jetzt wird es noch besser, und dann plötzlich fordern: Kein Geschäftsmann in die Zone. Wir planen schließlich nicht von heute auf morgen. Wir stellen uns darauf ein, und sollen plötz- lich die Prügelknaben der Politik sein. Also das geht nicht." Das also sind die fast wörtlich übereinstimmenden Ansichten west- deutscher und Westberliner Kaufleute. "Wir haben uns aber nicht abgesprochen", fügte lachend Herr Weser hinzu, als er erfuhr, daß er mit seiner Meinung nicht allein stehe. Abendpost vom 14. September 1960 AUSZÜGE AUS EINEM AUFSATZ DES BEKANNTEN FRANZÖSISCHEN ===================================================== STAATSWISSENSCHAFTLERS PROFESSOR MAURICE DUVERGER IN ==================================================== LE MONDE VOM 2. SEPTEMBER 1960 ============================== Seit 10 Jahren sind die Franzosen an der Wiederbewaffnung Deutschlands nicht interessiert. Sie sind desinteressiert an Deutschland, an Europa, an der Nato. Sie zeigen für nichts Inter- esse, nur jener Lokal-Konflikt - dessen Maßstab im Hinblick auf die gesamte Weltpolitik von geringer Bedeutung ist - hält sie in Bann, frißt sie auf: nämlich die Rebellion in Algerien. Die ganze französische Armee ist im Sande Nord-Afrikas versunken und ver- streut. Ein Teil gibt sich mit einem Kolonialkrieg ab (d.h. einem Krieg altertümlicher Art), ein anderer beschäftigt sich mit poli- zeilichen Aufgaben (die nicht militärischer Natur sind), ein letzter führt rein zivile Missionen aus: Erziehung, Sozialhilfe, Versorgung. In der ausgehöhlten Leere, die durch das Verschwinden der französischen Armee in Europa hervorgerufen wurde, kann die neue deutsche Wehrmacht ungehindert aufblühen. Gewiß ist sie keine unabhängige Armee. Sie ist in die Nato einge- gliedert. Offiziell sollen ihre Kontingente - sowie die anderen verbündeten Staaten - nur zum Schutz des Westens gegen einen eventuellen Angriff der Sowjets dienen. Darüber hinaus wird durch die Entwicklung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft das Bündnis zwischen Deutschland und seinen 5 Partnern verstärkt. Der deutsche Militarismus war durch seinen nationalen Charakter ge- fährlich, wobei man anstrebt, den nationalen Charakter verschwin- den zu lassen. Überlegungen dieser Art, seit 10 Jahren häufig er- örtert, haben die Franzosen dazu bewogen, mit ruhigem Gewissen der Wiederbewaffnung Deutschlands kein Interesse entgegenzubrin- gen. Werden sie jetzt die Tragweite der Resolution verstehen, die man von der anderen Rheinseite bekanntgibt? Das Memorandum des Gene- ralstabes erweckt alte Erinnerungen, indem es sich für die allge- meine Wehrpflicht ausspricht und das Recht fordert, Kernwaffen zu besitzen. Dies ist keineswegs der Ton der Protestrufe gegen die aufgezwungenen Grenzen zur Zeiten der Entwicklung des deutschen Heeres durch das Diktat von Versailles; die Umstände sind anderer Natur. Aber der Grund ist der gleiche: Es handelt sich darum, die volle militärische Souveränität zu erlangen. Ein Vergleich der Daten ist interessant. In beiden Fällen trennen ungefähr eine Zeit von 15 Jahren die Niederlage und den klar ausgedrückten Willen, die Folgen auszulöschen. Die Soziologen, die das Problem des Rhythmus der Weltgeschichte beobachten, mögen über die periodische Wiederkehr der Daten nachsinnen. Noch schwerwiegender an Bedeutung ist die Annäherung zwischen den Forderungen der neuen Wehrmacht und dem Wiedererwachen der irre- dentistischen Kampagnen. Im Abstand von einigen Tagen haben zwei von Adenauers Ministern den deutschen Charakter Oberschlesiens (zur Zeit polnisch) und des Sudetenlandes (zur Zeit tschechisch) öffentlich verkündet. Das bedeutet, daß das neue Deutschland nicht nur die Wiedererlangung der Grenzen von 1919 fordert, son- dern darüber hinaus sogar den Gewinn der skandalösen Hitler-Er- oberungen. Im Grunde genommen will also die deutsche Regierung, daß die Großmächte ein neues Abkommen von München unterzeichnen. Als wir uns vor 10 Jahren im Verlaufe der Europäischen Verteidi- gungsgemeinschaft gegen die Wiederbewaffnung Deutschlands zur Wehr setzten, ahnten wir damals noch nicht, daß sich unsere Be- fürchtungen so früh und so vollständig bewahrheiten sollten. Gewiß ist der Ton hier abermals nicht der gleiche wie 1938. Man nimmt sich in acht, Drohungen verlauten zu lassen oder von Gewal- takten zu sprechen. Man beruft sich nur auf die Selbstbestimmung, ein Wort, das in Mode ist und friedenstiftend sein will. Man schlägt Volksentscheide vor, ein demokratisches Verfahren, wie es kein besseres gibt. Aber diese versteckte Vorsicht kann niemanden täuschen. Die ganze Welt weiß, im Westen und im Osten, daß weder die Sowjetunion noch Polen und die Tschechoslowakei seine Verbün- deten, die ex-deutschen Territorien, die jetzt in ihrem Besitz sind, ohne Krieg abtreten werden. Trotz aller umschriebenen Ver- lautbarungen und des sich immer Wiederberufens auf den Frieden, bedeutet das Zurückfordern dieser Territorien, einen dritten Weltkrieg vom Zaune brechen zu wollen. Wahrscheinlich ist, daß die Minister des Herrn Adenauer es nicht wagen, sich selbst die Konsequenzen ihrer irredentistischen Provokationen vor Augen zu halten; selbst ihr guter Wille - wenn er überhaupt vorhanden ist - ändert jedoch nichts an den Tatsachen. Unterdessen ist der Umfang dieser verschiedenen Deklarationen, militärischer oder politischer Art weitaus geringer als der der Forderungen der dreißiger Jahre. Das geteilte Deutschland hat noch nicht die nötige Macht, um seine Stimme dementsprechend ge- waltig zu erheben. Auf der anderen Seite ist die furchtbar er- teilte Lektion von 1945 noch nicht bei all seinen Bürgern in Ver- gessenheit geraten. Die Demokratie ist mit aller Wahrscheinlich- keit heute jenseits des Rheins viel gefestigter, als sie es vor 30 Jahren war. Aber diese erste Resolution darf nicht übersehen werden. Morgen schon wird es zu spät sein, um das zu vernichten, was man noch heute im Keime ersticken kann. Die Frage geht haupt- sächlich an den Westen. Nach den amerikanischen Wahlen und nach den deutschen Wahlen muß der Westen endlich das Problem der Aner- kennung der neuen deutschen Grenzen lösen. Aber die Frage interessiert auch Frankreich, das in zwei ver- schiedenen Richtungen handeln kann. Einerseits müssen die Anhän- ger der europäischen Integration sich auch davon loslösen, das Problem des deutschen Irredentismus zu umgehen. Man wird kein po- litisches Europa aufbauen können - nach dem sich das wirtschaft- liche Europa entwickelt - solange eines der Staatenmitglieder Grenzansprüche stellt, die die anderen nicht anerkennen. Denn ein Vereinigtes Europa setzt für alle europäischen Nationen eine ge- meinsame Außenpolitik voraus. Die Anerkennung der Oder-Neiße-Li- nie (und natürlich die der momentanen Grenze in Böhmen) ist eine unerläßliche Bedingung einer wirklichen Integration. zurück