Quelle: Blätter 1964 Heft 02 (Februar)
zurück Dokumente zum Zeitgeschehen DIE ANTWORT PRÄSIDENT JOHNSONS AUF ================================== DIE NEUJAHRSBOTSCHAFT CHRUSTSCHOWS ================================== Am 20. Januar 1964 wurde in Washington der Wortlaut der Antwort Präsident Johnsons auf die Neujahrsbotschaft des sowjetischen Mi- nisterpräsident Chrustschow veröffentlicht. Ihr kommt im Hinblick auf die neue Session der Genfer Abrüstungskonferenz, die am 21. Januar begonnen hat, besondere Bedeutung zu. D. Red. Sehr geehrter Herr Ministerpräsident: Ich begrüße die in Ihrem Schreiben vom 31. Dezember dargelegten Zielsetzungen und stimme mit seinem Inhalt weitgehend überein. Ich hege die Hoffnung, daß wir auf diesen Gebieten der Überein- stimmung aufbauen können, statt lediglich unsere wohlbekannten Meinungsverschiedenheiten zu unterstreichen. Die Vereinigten Staaten haben sich der friedlichen Wiedervereinigung Deutschlands in Übereinstimmung mit dem Willen des Volkes verpflichtet. Die Vereinigten Staaten, die grundsätzliche Verpflichtungen gegenüber der Republik China haben, setzten sich viele Jahre lang für den Verzicht auf Gewalt in der Formosa-Straße ein. Die Streitkräfte und Stützpunkte der Vereinigten Staaten in Übersee dienen der kollektiven Verteidigung und stehen im Einklang mit Verträgen und Abmachungen mit den jeweiligen Staaten. Lassen Sie uns stattdessen die Übereinstimmung über die Bedeutung unterstreichen, die Ihr Schreiben der Erhaltung und Stärkung des Friedens beimißt - sowie über die Notwendigkeit, daß Bemühungen um die Abrüstung von neuen Anstrengungen zur Beseitigung der Ur- sache der Reibung und zur Verbesserung der Instrumente der Welt für die friedliche Beilegung von Meinungsverschiedenheiten be- gleitet werden. In diesem Geiste lassen Sie uns beide auf der Genfer Abrüstungskonferenz neue Vorschläge unterbreiten - in Ver- folg der Ziele, die wir schon früher aufgezeigt haben: - zur Verhütung der Ausbreitung von Kernwaffen; - zur Einstellung der Produktion spaltbaren Materials für Waffen- zwecke; - zur Transferierung großer Mengen spaltbaren Materials für friedliche Zwecke; - zum Verbot aller Kernwaffenversuche; - zur Begrenzung der Kernwaffensysteme; - zur Verringerung des Kriegsrisikos durch Zufall oder Absicht; - zur Bewerkstelligung der allgemeinen Abrüstung. Sicherlich werden Sie dem beipflichten, daß es unsere Aufgabe ist, hart und ständig an diesen und anderen spezifischen Proble- men und Vorschlägen zu arbeiten - wie Sie und Präsident Kennedy dies im Falle des Atomstopvertrages getan haben -, statt uns auf vage Prinzipienerklärungen zu beschränken, die sich gegen einige Arten von Kriegen, aber nicht alle richten. Ihr Schreiben stellt besonders das Problem territorialer Strei- tigkeiten heraus und kommt zu dem Schluß, daß 'die Anwendung von Gewalt zur Lösung territorialer Streitigkeiten nicht im Interesse irgend eines Volkes oder Landes liegt'. Ich stimme dem zu; dar- über hinaus schlagen die Vereinigten Staaten Richtlinien zur Ver- wirklichung dieses Prinzips vor, die noch umfassender und stärker als die Ihren sind. Erstens: Alle Regierungen oder Regime sollen sich jeder direkten oder indirekten Drohung mit oder Anwendung von Gewalt enthalten, um eine Änderung zu erreichen von - internationalen Grenzen; - anderen territorialen oder administrativen Demarkations- oder Trennungslinien, die durch internationale Abkommen oder die Pra- xis geschaffen oder bestätigt worden sind; - Bestimmungen von Waffenstillstandsabkommen oder Abkommen über eine militärische Waffenruhe; oder - Vereinbarungen oder Verfahren über den Zugang zu, den Durchgang bei oder die Verwaltung von solchen Gebieten, in denen durch in- ternationale Abkommen oder die Praxis derartige Vereinbarungen und Verfahren geschaffen oder bestätigt worden sind. Genauso wenig soll irgend eine Regierung oder ein Regime Gewalt anwenden oder mit Gewalt drohen, um das unter seiner Kontrolle oder Verwaltung stehende Gebiet durch Sturz oder Absetzen amtie- render Behörden zu erweitern. Zweitens: Diese Beschränkungen sollen ohne Rücksicht darauf gel- ten, welche direkte oder indirekte Form eine derartige Bedrohung oder Gewaltanwendung annehmen mag,- ob die Form einer Aggression, Subversion oder heimlichen Waffenlieferung - und ohne Rücksicht auf irgendwelche Fragen der Anerkennung, der diplomatischen Be- ziehungen oder der Unterschiede der politischen Systeme. Drittens: Die an irgendeiner ernsten Auseinandersetzung beteilig- ten Parteien sollen gemäß diesen Prinzipien eine Lösung mit friedlichen Mitteln anstreben - unter Anwendung von Verhandlung, Vermittlung, Versöhnung, gerichtlicher Entscheidung, Maßnahmen einer regionalen oder einer entsprechenden Organisation der Ver- einten Nationen oder anderer friedlicher Mittel ihrer eigenen Wahl. Viertens: Diese Verpflichtungen müßten, wenn sie weiterhin Gel- tung haben sollen, ganz allgemein beachtet werden. Jedes Abwei- chen würde eine Neubewertung zur Folge haben, und das angeborene Recht der Selbstverteidigung, das in Artikel 51 der Charta der Vereinten Nationen anerkannt wird, wird in jedem Fall voll in Geltung bleiben. Sie werden die grundsätzlichen Übereinstimmungen unserer Stand- punkte feststellen. Es sollte nicht unmöglich sein, über diese oder andere Vorschläge zu einer Übereinkunft zu gelangen - und ich teile Ihre Hoffnung, daß ein solches Abkommen die Abrüstung und die friedlichen Beziehungen fördern wird. Die Verhütung von Kriegen wegen territorialer und anderer Streit- fragen erfordert nicht nur allgemeine Prinzipien, sondern auch das "Wachstum und die Verbesserung", von denen Sie bezüglich der Maschinerie und Methoden für friedliche Lösungen sprechen. Die Vereinigten Staaten sind der Überzeugung, daß die friedenserhal- tenden Verfahren der Vereinten Nationen - insbesondere ihres Si- cherheitsrates - in stärkerem Maße benutzt und gefestigt werden sollten und daß die besondere Verantwortung und der besondere Beitrag der Großmächte - vor allem der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates - bei der Lösung ihrer finanziellen Probleme eine stärkere Beachtung finden sollten. In Übereinstimmung mit unseren Verbündeten werden wir in den kom- menden Wochen spezifische Vorschläge in dieser Richtung unter- breiten. Sowohl die Genfer Abrüstungskonferenz als auch die Ver- einten Nationen sind geeignete Foren für solche Erörterungen. Herr Ministerpräsident, darf ich Ihnen versichern, daß der prak- tische Fortschritt zum Frieden mein heißester Wunsch ist. Dies erfordert nicht nur grundsätzliche Übereinstimmung, sondern auch konkrete Maßnahmen in Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen. Ich bin der Überzeugung, daß dieser Schriftwechsel eine echte Hoff- nung auf diese Art von Fortschritt bietet - und diese Hoffnung wird von allen friedliebenden Menschen in allen Ländern geteilt. Nach: Amerika-Dienst Mit vorzüglicher Hochachtung gez. Lyndon B. Johnson zurück